Hilfswerke: Umsetzung der Behindertenrechte „nur Stückwerk“

Diakonie und weitere NGOs machten vor Parlament auf Versäumnisse in der Behindertenpolitik aufmerksam
Wien (epdÖ) – Gemeinsam mit dem Österreichischen Behindertenrat haben die Diakonie und andere Hilfsorganisationen mit der Protestaktion „Baustelle Inklusion: Jeder Artikel zählt“ am 5. Mai vor dem Wiener Parlament auf Versäumnisse in der Behindertenpolitik hingewiesen.
Dabei haben die Selbstvertreter:innen der Organisationen, u.a. aus dem inklusiven Diakonie-Gymnasium in Wien Donaustadt, am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Verbund eine zehnstündige Lesung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vor dem Hohen Haus gehalten, um Druck für deren Umsetzung zu machen. Wort für Wort wurden die Artikel verlesen, „denn jeder Artikel steht für ein Recht, das Menschen mit Behinderungen zusteht – und das in Österreich noch zu oft ignoriert wird“, hieß es seitens der Veranstalter.
„Österreich hat vor 17 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet“, erinnerte Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, bei der Eröffnung der „Baustelle Inklusion“. Damit habe sich Österreich verpflichtet, die in der Konvention verbrieften Rechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen. „Trotzdem gibt es hier noch viele Baustellen“, kritisierte Widl. Der Verband fordere „die vollständige Umsetzung unserer Menschenrechte“, wie sie in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgeschrieben sind, betonte Widl.
Gemeinsam hielten die beteiligten Organisationen fest, dass die Umsetzung der 50 Artikel umfassenden UN-Behindertenrechtskonvention 17 Jahre nach der Ratifizierung „nur Stückwerk“ bleibe. Defizite gebe es zahlreiche, „wie auch bei der letzten Staatenprüfung im Sommer 2023 durch den zuständigen UN-Fachausschuss festgestellt wurde“. In den vergangenen Jahren habe es punktuell sogar Rückschritte gegeben. Das betreffe etwa die Standards für den barrierefreien Wohnbau, wie auch vom UN-Fachausschuss „mit Besorgnis“ festgestellt worden sei, so die NGOs.
Ähnlich sehe es in anderen Bereichen wie bei inklusiver Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt oder politischer Partizipation aus. Erschwert werde die Sachlage dadurch, dass die verschiedenen Themen in unterschiedliche Zuständigkeiten wie Gemeinde, Bundesländer sowie Bund fallen und folglich die Entscheidung über dringende Maßnahmen „hinausgezögert bzw. hin- und hergeschoben“ würden. „Die Politik muss die Verpflichtungen aus der UN-BRK endlich ernst nehmen – nicht nur im Bund, sondern auch auf Landes- und Gemeindeebene“, lautete die Forderung.
Moser: „Frühe Kommunikationsförderung für Kinder ohne Lautsprache besonders wichtig“
„Wir wissen, dass sich Inklusion von Anfang an lohnt, und zwar für alle“, erklärt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. „Damit das gelingt, ist die frühe Kommunikationsförderung für Kinder ohne Lautsprache besonders wichtig. Alle Kinder sollen gemeinsam in einem inklusiven Bildungssystem lernen können und jene Unterstützungsleistungen erhalten, die sie für die Teilhabe benötigen“, fordert Moser. „Dazu zählt der Rechtsanspruch auf Unterstützte Kommunikationsmittel, die Abschaffung von segregierenden Sonderschulsystemen, der Ausbau von inklusiven Plätzen im Kindergarten, die Verfügbarkeit von Schulassistenz und der Zugang zu inklusiver Bildung nach der Schulpflicht“, so die Diakonie-Direktorin.
In Österreich leben etwa 63.000 Personen, die in ihrer Lautsprache eingeschränkt sind, viele davon sind Kinder. Um zu kommunizieren, brauchen sie Hilfsmittel wie zum Beispiel Tablets mit Augensteuerung und Sprachausgabe. Haben sie dazu nicht oder schwer Zugang, wird die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Lautsprache in Schule, Beruf und Alltag verhindert.
An der öffentlichen Aktion beteiligt waren der Österreichische Behindertenrat, die Diakonie, Caritas Österreich, Caritas Wien, Lebenshilfe Österreich, ÖZIV Bundesverband, Dachverband Berufliche Inklusion Austria, Jugend am Werk, KOBV, Ohrenschmaus, BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ). Teilgenommen haben zudem weitere Mitglieder des Österreichischen Behindertenrats wie etwa Pro Mente, die WAG Assistenzgenossenschaft, der Gehörlosenbund sowie der Blinden- und Sehbehindertenverband, die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, der Schwerhörigenbund, die MS-Gesellschaft, sowie die FmB – Interessenvertretung Frauen mit Behinderungen und die ME/CFS-Gesellschaft.