Leben

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über die Karwoche und das Leiden

Was heißt eigentlich Leben? Aminosäuren und Moleküle, die sich vermehren, Zellhaufen, wie es die Biologie beschreiben würde? Organismen im Unterschied zu toter Materie? Das Streben nach dem Guten und Schönen? Eine Antwort auf die Frage nach dem Leben gibt uns die Karwoche, die vor uns liegt. In der Karwoche verdichtet sich das Leben und alles, was dazu gehört.

Sie beginnt heute, am Palmsonntag, mit der Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem. Eine Menschenmenge empfängt ihn. Hosianna! rufen sie Jesus zu. Ein Jubelruf, gerichtet an einen König. „Hilf doch!“ heißt Hosianna übersetzt. Hoffnung und Begeisterung liegen in der Luft. Begeisterung und Hoffnung – Lebenskräfte. Die Stimmung wird kippen. „Kreuzige ihn!“ werden die Menschen rufen. Auch das gehört zum Leben: Enttäuschung. Alles kommt anders. Abwendung. Gegnerschaft. Verrat.

Jesus weiß, was kommen wird. Er ruft seine Freunde und Freundinnen zusammen. Ein letztes Mal hält er Mahl mit ihnen. Ein Fest der Gemeinschaft. Gemeinschaft, die trägt im Leben. Und doch brüchig ist. Der Verräter sitzt mit am Tisch. Der Verleugner auch.
Das Unheil nimmt seinen Lauf. Karfreitag. Anklage. Spott. Verurteilung. Der Schmerz der Einsamkeit. Von Gott und den Menschen verlassen. Sterben. Und schließlich: der Tod. Ja, auch die Endlichkeit gehört zum Leben. Wie ein Loch in der Zeit, in dem alles zu versinken droht, breitet sie sich am Karsamstag vor uns aus. Und doch wird der Tod nicht das letzte Wort haben. Das Leben wird sich als stärker erweisen. Der Ostersonntag lädt uns ein, den Aufstand des Lebens zu wagen. Aber noch ist es nicht so weit. Jetzt beginnt die Karwoche. Kummer und Sorge verlangen unsere Aufmerksamkeit.

Ein Gottesdienst in der Karwoche ist mir besonders lieb: das Tischabendmahl am Gründonnerstag. In der evangelischen Tradition steht am Gründonnerstag nicht wie in der katholischen Tradition die Fußwaschung vor dem letzten Abendmahl, von der das Johannes-Evangelium erzählt, im Zentrum, sondern das Abendmahl selbst. In vielen Kirchen werden Tische aufgestellt. Die Gemeinde setzt sich zusammen, teilt Brot und Wein, verbindet das Mahl zu Jesu Gedächtnis mit einem Sättigungsmahl.

Brot ist das Symbol für Leben. Eine Stärkung für den bevorstehenden Karfreitag, der uns mit dem Leiden konfrontiert. Das sagt mir: Das Leiden gehört zum Leben. Wir müssen das Leid nicht verdrängen. Wir sollen das Leid und mit ihm alle, die leiden, nicht ausgrenzen. Wir können das: Hinschauen auf das Leid, es aushalten. Gemeinsam.

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