Pflegefall Liebe

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über eine große Herausforderung in der Beziehung

„Die Beziehung hat sich verändert“, sagt Rita. Ihr Mann Gernot ist vor einigen Monaten gestürzt und hat sich schwere Knochenbrüche zugezogen. Seitdem ist alles anders in Ritas und Gernots Leben. Der 93jährige ist jetzt das, was man landläufig einen „Pflegefall“ nennt. Und Rita pflegt ihn.

In der Früh und am Abend kommt ein Pflegedienst. „Und trotzdem“, sagt Rita, „ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.“ Sie ist selbst schon 90. Jeden Tag beim Aufwachen fragt sie sich, was dieser Tag wieder bringen wird. Das Leben ist unvorhersehbar geworden. Und schwer planbar. Wie wird es Gernot heute gehen? Können sie Freunde einladen? Kommt der Pflegedienst zur vorgesehenen Zeit?

Fragen wie diese beschäftigen viele pflegende Angehörige. Sie sind der größte Pflegedienst des Landes. Denn acht von zehn Menschen, die Pflege brauchen, werden zu Hause betreut. Die Hälfte der 950.000 pflegenden Angehörigen schultert alles ohne professionelle Hilfe, ihr Durchschnittsalter liegt bei über 60 Jahren.

70% der pflegenden Angehörigen leiden unter körperlicher und psychischer Belastung, viele auch unter sozialer Isolation. Sie wollen oder können ihren Angehörigen nicht alleine lassen, kommen kaum aus dem Haus. Und worüber sollten sie auch reden mit anderen? Die Pflegefragen, die sie den ganzen Tag beschäftigen, sind kein besonders attraktives Gesprächsthema. Es gibt aber auch Positives zu berichten: Mehr als die Hälfte der Angehörigen gibt an, durch die familiäre Betreuung eine intensive Beziehung zur gepflegten Person zu haben, sich gebraucht zu fühlen.

Und doch: Die Beziehung verändert sich. Gegenseitigkeit in der Partnerschaft ist nicht mehr so lebbar wie früher. Pflegende Angehörige sehen sich konfrontiert mit Ansprüchen und Vorwürfen. Das löst Selbstzweifel aus: Mache ich alles richtig? Körperliche und seelische Schmerzen können dazu führen, dass Menschen sich verändern, unleidlich werden. Angehörige bekommen oft das Gefühl, das nicht mehr auszuhalten. Abstand zu brauchen. Bis dahin, dass der Gedanke hochkommen kann, wann stirbt er oder sie denn endlich? Das Gefühl, einfach nur weg zu wollen, kann mächtig werden. Auch Eltern psychisch kranker Kinder erzählen davon. Wenn davon erzählt wird. Oft schämen sich Angehörige dafür. Haben Schuldgefühle. Fragen sich: Liebe ich mein Kind, meinen Partner so, wie ich sollte?

„Was passiert mit der Liebe? Was heißt Liebe jetzt? Die Frage ist ein Tabu“, sagt Rita. Sie wünsche sich, dass mehr darüber gesprochen und auch in der Zeitung geschrieben wird. Ja, denke ich mir, es ist wichtig, das Unsagbare anzusprechen.

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