Langmut

Maria Katharina Moser über eine Grundhaltung
Neulich war wieder so ein Tag. Ich hab mich geärgert. Und schon sind meine Finger über die Tastatur meines Laptops geflogen. Ein E-Mail tippend, hat sich der Ärger Luft gemacht. Wahrscheinlich kennen Sie das auch. Jemand tut oder sagt oder schreibt etwas. Sie spüren, wie sich Ihr Puls beschleunigt. Es brodelt in Ihnen. Die Widerrede liegt Ihnen auf der Zunge. Bis zehn zählen, empfiehlt eine Alltagsweisheit. Das soll uns Zeit geben, unser Mütchen zu kühlen und nicht unbedacht zu reagieren.
Die Bibel kennt ein Wort, das zu solchen Situationen passt: Langmut. Oft wird dieses schöne alte Wort mit Geduld gleichgesetzt. Doch Langmut ist mehr geduldiges Abwarten und etwas anderes als schweigsames Erdulden. Das zeigt schon ein Blick auf das Wort. Langmut kommt vom Mittelhochdeutschen mut, was Gemüt, Verstand, Gefühl, innere Haltung bedeutet. Empfindung und Gesinnung verbinden sich hier. Auch Mut und Courage in unserem heutigen Sinne stecken drinnen – nicht als kurzes Aufflackern, sondern als Grundhaltung. Lang eben. Diese Beständigkeit betont das griechische Wort, das das Neuen Testament verwendet, es heißt wörtlich langer Atem. Eine körperliche Erfahrung kommt auch im Alten Testament zum Ausdruck. Im hebräischen Wort für langmütig steckt die lange Nase. Der Zorn entbrennt, wir laufen heiß, schnauben vor Zorn. Eine lange Nase wird nicht so schnell heiß.
In der Bibel ist Langmut eine Eigenschaft Gottes. Der langmütige Gott ist gnädig und vergibt. Das bedeutet nicht, dass Gott über alle Fehler und Ungerechtigkeiten hinwegsieht, sondern dass er „langsam zum Zorn“ ist, dass er „Güte bewahrt, Missetat und Sünde vergibt, aber keineswegs ungestraft lässt“. Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingt, soll uns sagen: Der Gerechtigkeit ist nicht dann Genüge getan, wenn Unrecht gerächt ist, sondern es zielt auf Wiederherstellung gerechter Verhältnisse und Beziehungen. Dafür braucht es Zeit und einen langen Mut. Zeit, damit Menschen ihre Fehler erkennen und sich ändern können.
Die Langmut lässt Fehler und Ungerechtigkeit nicht unbenannt. Aber sie überwindet heiße Rachegelüste. Sie balanciert aus. Ein Gedanke, den wir auch bei Aristoteles finden. Für ihn ist Langmut der Mittelweg zwischen Zorn, der überschießend reagiert, und Feigheit, die sich in falschem Schweigen übt.
Ich habe Langmut für mich in eine Regel übersetzt, die lautet: nicht sofort! Dieser Regel folgend, habe ich das im Ärger geschriebene E-Mail wieder gelöscht. Am nächsten Tag habe ich festgestellt: Mein Ärger auf die Person ist verraucht. Und ich kann ansprechen, was ich problematisch finde – freundlich, aber auch in aller Klarheit.