Kirchliche Stimmen unterstreichen Wert des Religionsunterrichts für Zusammenhalt
Wiener Fachinspektor:innen kritisieren Vorstoß von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr
Wien (epdÖ) – Auf breite Ablehnung stößt die Idee des Wiener Bildungsstadtrats Christoph Wiederkehr (NEOS), den konfessionellen Religionsunterricht in Volksschulen durch ein Fach „Demokratie“ zu ersetzen. Das Fach Religion sollte laut Wiederkehr nur zusätzlich als Freifach auf dem Stundenplan stehen. Anlass seines Vorstoßes war eine Erhebung über den Religionsunterricht in Wiener Volksschulen, wonach 35% muslimisch sind, 26% ohne Bekenntnis, 21% katholisch, 13% orthodox und zwei Prozent evangelisch oder einer anderen Konfession angehörig.
Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) betonte in einer ersten Reaktion, dass „der Religionsunterricht bleibt“. Auch die Leiterin des Schulamts der Erzdiözese Wien, Andrea Pinz, kritisierte Wiederkehr. Im Interview in der ORF-Sendung „Wien heute“ betonte Pinz, gerade der Religionsunterricht leiste einen großen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zum Wertesystem, das in Österreich stark christlich geprägt sei. Sie erinnerte an verschiedene Formen und Modelle der interreligiösen und interkonfessionellen Kooperation im Religionsunterricht. So gebe es das Projekt eines konfessionsverbindenden kooperativen Religionsunterrichts, in dem die katholische, evangelische, orthodoxe und altkatholische Kirche sowie die Freikirchen zusammenarbeiten würden.
Amann: Wiederkehrs Vorschlag „ebenso absurd wie populistisch“
„Demokratie ist kein abstrakter Begriff, sondern wirkt sich ganz konkret aus“, unterstrich der evangelische Wiener Fachinspektor für Pflichtschulen Lars Amann: Sie schütze Minderheiten und bekämpfe Diskriminierung. „Der Vorschlag des Vizebürgermeisters ist demokratiefeindlich, weil er die Rechte religiöser Minderheiten massiv in Frage stellt“, heißt es in einer Aussendung. Wiederkehrs Idee, die Demokratie mit demokratiefeindlichen Maßnahmen zu fördern, ist für Amann „ebenso absurd wie populistisch“.
Eichler: Religionsunterricht schafft notwendige Grundlagen
Im Unterricht würden zuerst die Grundlagen vermittelt, bevor auf weiterführende und tiefere Fragestellungen eingegangen wird. Daher ist es für die evangelische Fachinspektorin für Höhere Schulen in Wien, Katja Eichler, notwendig, dass der „konfessionelle Religionsunterricht für die Schülerinnen und Schüler diese Grundlagen auch schafft, welche von gut ausgebildeten Religionslehrer:innen vermittelt werden“. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, sei die Beschäftigung „mit eigenen Traditionen und Werten, des Menschenbildes und der eigenen Geschichte unumgänglich“.
Geist: Äußerungen „weder sinnerfassend noch zielführend“
Zur evangelischen Position ergänzt der evangelisch-lutherische Superintendent und Schulamtsleiter Matthias Geist, dass er Wiederkehrs Äußerungen für wenig hilfreich in der bildungspolitischen Diskussion halte. Sie seien in letzter Konsequenz „nicht durchdacht“ und würden „weder sinnerfassend noch zielführend“ zum Diskurs über die demokratiepolitischen und ethischen Bildungsziele, auch des Religionsunterrichts, beitragen. Die Kompetenz, religiöse Traditionen zu erfassen und Standpunkte zu reflektieren, benötige „authentische und fachlich ausgewiesene“ Personen, bekräftigte Geist.
IGGÖ: Demokratiebildung ja, jedoch nicht auf Kosten des Religionsunterrichts
Kritik an den Vorschlägen des Wiener Bildungsstadtrats äußerte auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Deren Präsident Ümit Vural wies dabei eine Verknüpfung zwischen der steigenden Anzahl muslimischer Schülerinnen und Schüler und der Forderung nach Demokratiebildung als „bedenklich“ zurück.
„Ich unterstütze die Forderung nach Demokratiebildung, jedoch nicht auf Kosten des Religionsunterrichts“, so Vural. Beide Fächer erfüllten sich ergänzende Funktionen und würden zur Entwicklung einer respektvollen, pluralen Gesellschaft beitragen. Der IGGÖ-Präsident warnte vor den Folgen einer Abschaffung des Religionsunterrichts. Das würde auch bedeuten, „religiöse Bildung in einen Bereich außerhalb der bestehenden rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu verlagern, ohne Betreuung durch qualifizierte Pädagog:innen“.
Wiederkehr hatte am Dienstag, 11.6., seine Forderung nach einem für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtenden Gegenstand „Leben in einer Demokratie“ ab der ersten Klasse Volksschule erneuert. Nach zahlreicher Kritik ließ Wiederkehr mittlerweile eine Presseaussendung veröffentlichen. Darin heißt es, dass sein Vorschlag „keinerlei Änderungen für den aktuellen Status des Religionsunterrichts“ bedeute.