Theologe Körtner sieht bei Sterbekultur in Österreich „Luft nach oben“

 
von Evangelischer Pressedienst

Defizite in Coronakrise deutlich spürbar

Wien (epdÖ) – Strukturelle Defizite im Umgang mit Tod und Sterben ortet der evangelische Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner in Österreich. Im Gespräch mit der APA meinte Körtner, es werde in der Coronakrise immer klarer, dass in Österreich im Bereich der „verbesserten Sterbekultur“ trotz jahrelanger Diskussionen „noch Luft nach oben ist“. Von den Empfehlungen einer parlamentarischen Enquete im Jahre 2015 zu dem Thema sei vieles nicht umgesetzt worden. „In einer Extremsituation wie der jetzigen, werden die vorhandenen Defizite natürlich spürbar“, so Körtner, dessen Befund sich weniger auf die Intensiv-, sondern mehr auf die Palliativ- oder Hospizversorgung sowie Pensionisten- und Pflegeheime richtet.

Letztere müssen sowohl eine Lebensperspektive als auch Perspektiven im Umgang mit dem Sterben in einer „gewissen Würde und Intimität“ bieten und tun dies auch. In Gesprächen mit Leuten, die in dem Bereich arbeiten, zeige sich, „dass die Häuser im Umgang mit Coronapatienten und ihren Angehörigen an ihre Grenzen stoßen“. Dass dann logischerweise Verdachtsfälle in Krankenhäuser verlegt und bei positiver Testung auch dort verbleiben, führe dazu, dass sich bei schlechtem Krankheitsverlauf „das Sterben wieder aus den Häusern heraus verlagert“.

Das liege aber nicht an den einzelnen Einrichtungen, sondern an strukturellen Fragen „zur Sterbekultur und Sterbebegleitung“, betonte Körtner. Es sollte demnach über Möglichkeiten nachgedacht werden, auch mit schwerem Covid-19-Verlauf etwa im Pflegeheim oder in familiärer und hausärztlicher Pflege und – dem Wunsch vieler Menschen entsprechend – nicht unbedingt im Spital zu versterben.

Bereits breite Gedenkkultur in China und Italien

Glücklicherweise halte sich die Zahl der Coronatoten in Österreich noch in Grenzen, so der evangelische Theologe und Ethiker von der Universität Wien. Da dies noch nicht die Ausmaße einer „nationalen Katastrophe“ erreicht hat, stehen jene Menschen, die bisher jemanden durch Covid-19 verloren haben, noch ein Stück weit alleine da, während sich in China oder Italien schon „eine Art breite Gedenkkultur“ entwickle.

Ungeachtet der teils dramatischen Appelle der Politik inklusive des für Körtner problematischen Bildes der „Auferstehung nach Ostern“ sei Österreich hier ein Stück weit „in der Zuschauerhaltung. Ich sehe nicht, dass jetzt ein Ruck durch die Gesellschaft ginge, sich ganz massiv mit unserer Endlichkeit und Sterblichkeit auseinanderzusetzen.“ In der Krise zeige sich „im Grunde, wie säkular unsere Gesellschaft eigentlich ist“, sagte Körtner.

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