In den Schuhen der anderen

 
von Evangelischer Pressedienst

Julia Schnizlein über den Beruf der Pfarrer*in

Pfarrer arbeiten nur sonntags, Beamte drücken den ganzen Tag lang Stempel auf Papiere und Lehrer haben die Hälfte der Zeit frei. Die Liste der Berufsklischees ließe sich vermutlich endlos fortsetzen. Wir stecken Menschen gerne in Schubladen. Je weniger wir von ihnen wissen, desto klarer sind manchmal die Vorstellungen. Manche Berufe haben größere Imageprobleme als andere und es ist für Betroffene sicher nicht leicht, mit den Vorurteilen umzugehen, die ihnen entgegenschlagen.

Bei meinem Beruf, dem der evangelischen Pfarrerin, wissen zum Beispiel nur die wenigsten, was wir außerhalb des Sonntagsgottesdienstes so tun. Vieles ist für andere unsichtbar. Meine deutsche Kollegin, Dr. Anne Helene Kratzert, hat daher unlängst einen wundervollen Text geschrieben, der beschreibt, was Pfarrer und Pfarrerinnen so tun.

„Ich fühle. Fühle mich rein in Menschen, Beziehungen, Familiensysteme. Ich fühle mich rein in Lebensweisen, die mir fremd sind und denen ich trotzdem mit Respekt begegne.
Ich stehe. Stehe mit Menschen an Gräbern und Taufsteinen.
Und ich sitze. An ihren Tischen, ihren Sterbebetten, in Kirchenbänken, auf Terrassen.
Ich gehe. Gehe mit durch Abschiede, Trennungen, Verschuldungen, größtes Glück, tiefsten Schmerz.
Ich trinke mit Menschen aus jedem Kelch, den Gott ihnen reicht. Manchmal auch Kaffee oder selbstgebrannten Schnaps.
Ich halte aus: unaufgeräumte Wohnzimmer. Verrauchte Wohnungen. Dauerlaufende Fernseher. Anonyme Briefe. Beschimpfungen. Und Tränen.
Ich hoffe viel. Auf Lösungen, Mut, Wunder.
Ich bin Grenzgängerin zwischen verfügbarer und unverfügbarer Welt und halte in einer vollkommen durchrationalisierten Welt den Glauben fest, dass kein Mensch verstummen muss gegenüber dem Schicksal. Sondern dass es einen Himmel über uns gibt, einen Gesprächspartner darin, einen Plan und eine Zukunft. Eine Erlösung, die nicht in dieser Welt liegt, sondern in dem, was ich Ewigkeit nenne.
Ich begleite. Und bin dabei immer Ich. Rede und Antwort stehend mit dem, was ich hoffe, glaube, fühle.
Manchmal macht dieser Beruf mich unglaublich müde. Oft gebe ich viel. Wenn es gut läuft, steht unterm Strich ein Plus.
Ich liebe was ich tue. Never for money, always for love.”

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