Evangelische Kirche: „Assistierter Suizid darf nicht zum Normalfall werden!“
Stellungnahme zu Entwurf von Sterbeverfügungsgesetz – „Einzelne nicht allein lassen!“ – Rechtsanspruch auf Palliativversorgung fehlt
Wien (epdÖ) – Assistierter Suizid dürfe nicht zum „gesellschaftlichen Normalfall“ werden, sondern sei auf „dramatische Ausnahmefälle“ zu beschränken, in denen Barmherzigkeit gefragt ist. Das hat die Evangelische Kirche A.u.H.B. in einer Stellungnahme zum von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Sterbeverfügungsgesetzes bekräftigt. Gleichzeitig begrüßt sie in dem an das Justizministerium adressierten Schreiben vom Donnerstag, 11. November, den geplanten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, kritisiert aber etwa das Fehlen eines Rechtsanspruches darauf. Ebenso begegnet sie der kurzen Begutachtungsfrist des Gesetzesentwurfs von drei Wochen mit Kritik.
Es sei evangelische Position, dass „Einzelne, die sich in Ausnahmefällen tragischerweise trotz aller Begleitung nicht für das Leben entscheiden können, nicht allein gelassen werden dürfen“. Entscheidend sei es, Menschen in dieser Situation „vor Missbrauch und Druckausübung zu schützen und eine tatsächliche freie Willensbildung sicherzustellen“. Auch die Gewissensfreiheit derer, die um Suizidbeihilfe gebeten werden, sei zu schützen. Für sie brauche es zudem Rechtssicherheit. Es solle jedoch „keine allzu detaillierte Kasuistik“ geben – denn je geregelter der assistierte Suizid sei, desto mehr erschiene er als „durch den Staat legitimierter gesellschaftlicher Normalfall“.
„Die Evangelische Kirche plädiert für klare Schutzregelungen. Ist die freie Willensbildung sichergestellt, dürfen die rechtlichen Vorgaben nicht so gestaltet sein, dass die Inanspruchnahme des assistierten Suizids de facto unmöglich ist“, heißt es wörtlich in der Stellungnahme.
Im vorliegenden Gesetzesentwurf komme dem Schutz vor Missbrauch „hohes Gewicht“ zu, dieser Missbrauchsschutz sei auch „zentrales Anliegen“ der Evangelischen Kirche. Positiv gewürdigt würde dabei insbesonders das zweistufige Verfahren für die Errichtung einer Sterbeverfügung, bestehend aus Aufklärung und eigentlicher Errichtung, auch wenn die Evangelische Kirche und Diakonie hier eine personelle Trennung zwischen Beratung bzw. Aufklärung und Feststellung der Entscheidungsfähigkeit bevorzugt hätten.
Die Stellungnahme im Detail
Kritisch sieht die Evangelische Kirche A.u.H.B. den Begriff der „Sterbeverfügung“ in Anlehnung an die Patientenverfügung. Anders als diese sei die Sterbeverfügung nämlich keine „Festlegung für die Zukunft“, sondern nur die Dokumentation eines Willensentschlusses. Der Eintritt des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit sei zudem nicht Voraussetzung, sondern sogar Hinderungsgrund für eine Sterbeverfügung.
Dass u.a. eine schwere und dauerhafte Erkrankung der sterbewilligen Person Voraussetzung für die Beihilfe zur Selbsttötung ist, wird von der Evangelischen Kirche begrüßt. Eine „Legaldefinition“ des Begriffs „Krankheit“ fehle jedoch im Entwurf. Diese „Unbestimmtheit des Krankheitsbegriffs“ sieht die Evangelische Kirche ambivalent. Zum einen wäre eine allzu detaillierte Aufzählung von Krankheiten problematisch, zum anderen bestehe das Risiko, dass Ärztinnen und Ärzte wegen Fehlbeurteilungen gerichtlich belangt würden.
Die Evangelische Kirche weist auch auf Bedenken von Vertreterinnen und Vertretern von Menschen mit Behinderung hin, die „ungebührlichen Druck“ befürchten, wenn Behinderungen auch als mögliche unheilbare Krankheiten erachtet werden. Ähnliches gelte bei psychischen Erkrankungen. Zur Klarheit würde hier beitragen, gesetzlich zu verankern, dass die betreffende Person nicht nur zum Zeitpunkt der Sterbeverfügung – wie vorgesehen – entscheidungsfähig sei, sondern auch zum Zeitpunkt des Suizids.
Die Wartefrist von zwölf Wochen nach ärztlicher Aufklärung bis zur Errichtung der Sterbeverfügung sei zentral, die Fristdauer fachlich adäquat. Dass diese Wartefrist in der „terminalen Phase“ jedoch auf zwei Wochen verkürzt werden kann sieht die Evangelische Kirche kritisch, da der Begriff der „terminalen Phase“ fachlich umstritten sei. Zu bedauern sei, dass die Aufklärung der Sterbewilligen „nicht durch ein interdisziplinäres/interprofessionelles Konsil gemäß dem Total Pain-Konzept von Palliative Care erfolgt und mithin der vierdimensionale Schmerz – physisch, psychisch, sozial und spirituell – nicht berücksichtigt wird“.
Einrichtungen der Evangelischen Kirche und der Diakonie müssten „ausdrücklich von der Gewissensklausel“ umfasst werden, da sie es aus ethischen und religiösen Gründen ablehnen, assistierten Suizid in ihr Leistungsangebot aufzunehmen. Zu begrüßen sei das Verbot von Werbung und wirtschaftlicher Vorteilnahme im Zusammenhang mit dem assistierten Suizid. Offen bleibe jedoch, ob damit die Entwicklung eines Berufsbildes des Suizidassistenten bzw. der Suizidassistentin sowie von „Suizidorganisationen“ tatsächlich unterbunden werde.
Mit Blick auf den angekündigten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung moniert die Evangelische Kirche das Fehlen eines Rechtsanspruches, die Begrenzung des Ausbaus auf die modulare/spezialisierte Palliativversorgung und das Fehlen des Ausbaus der Grundversorgung. Darüber hinaus brauche es gute Rahmenbedingungen für die Pflege, gute Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung, etwa Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz, und Zugang zu psychosozialer Versorgung für psychisch Kranke. Menschen mit Pflegebedarf, Behinderungen oder psychischen Erkrankungen müssten sich „darauf verlassen können, dass ihre äußeren Lebensbedingungen so sind, dass sie nicht aufgrund sozialer Nöte oder Stigmata in Suizidwünsche gedrängt werden“.
Die Stellungnahme im vollen Wortlaut können Sie hier nachlesen.