Das letzte Hemd hat keine Taschen
Maria Katharina Moser über Gier und Genuss
Der Herbst ist ins Land gezogen. Die Felder sind abgeerntet, die Keller und Silos gefüllt, die Trauben gekeltert. Beim Blick in meinen Vorratsschrank freue ich mich über Marmelade, Zwetschkenröster und eingelegtes Gemüse. Der Winter kann kommen.
Das Einlagern ist auch Thema in der Bibel. Jesus erzählt folgendes Gleichnis: Ein reicher Bauer hatte eine besonders gute Ernte. Er hat nicht genug Platz für all das Korn. Also beschließt er, seine Scheunen abzureißen und größere zu bauen. „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern. Wem gehört dann das, was du angesammelt hast?“
Was will Jesus damit sagen? Was ist schlecht daran, Vorräte zu sammeln? Im Alten Testament wird doch erzählt, dass Josef den Traum des Pharaos von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen klug gedeutet und mit guter Vorratswirtschaft eine Hungersnot abgewendet hat. Ich denke, Jesus kritisiert nicht das Sammeln von Vorräten an sich, sondern ein Sammeln ohne Maß und Ziel. Ein gieriges Sammeln, das immer größere Scheunen braucht. Tagelöhner haben auf den Feldern der Großgrundbesitzer geschuftet, mit der Sichel haben sie Getreide geerntet, bis ihre Hände wund waren – um dann zu sehen, wie die Ernte, in Säcken verpackt, in den riesigen Scheuen verschwindet. Anders als in der Josef-Geschichte, wo die Vorräte nicht nur ganz Ägypten, sondern auch Hungersflüchtlinge aus den Nachbarländern, darunter Josefs Familie, über die Jahre der Not retten.
Das Sammeln des reichen Kornbauern ist eines, das auf den Nächsten vergisst und dem es an Gottvertrauen fehlt. Vor lauter Sorge um die Zukunft vergisst er auch auf das Leben. Er will immer größere Scheunen bauen, um sich dann sagen zu können: „Nun hast du riesige Vorräte, die für viele Jahre reichen. Gönne dir Ruhe! Iss, trink und genieße das Leben!“ Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das ist sein Grundsatz, so will er vorgehen.
„Das letzte Hemd hat leider keine Taschen, man lebt nur einmal, einmal, einmal auf der Welt, drum laß uns schnell den kleinen Rest vernaschen. Im Himmel braucht der Mensch bestimmt, bestimmt kein Geld.“ So lautet der Refrain eines Gassenhauers, den Hans Albers 1957 populär gemacht hat. In dem Lied geht es um Johnny. Johnny hat sein Geld verloren, obwohl er immer sehr sparsam gelebt hat. Und Johnny hat nie zu den Reichen gehört. Wichtig scheint mir der Ratschlag, den Johnny bekommt: Drum lass uns schnell den kleinen Rest vernaschen! Diesen Ratschlag gibt auch unser Gleichnis: Verschiebt das Genießen nicht auf den Sankt Nimmerleins Tag, sondern genießt jetzt!