Theologe Körtner fordert: Keine Message Control, sondern echte Überzeugungsarbeit

 
von Evangelischer Pressedienst

Realistische Ziele und strengere Umsetzung nötig

Wien (epdÖ) – Eine ehrliche Krisenkommunikation und eine konsequentere Durchsetzung von beschlossenen Maßnahmen hat der evangelische Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner von der österreichischen Bundesregierung gefordert. Konkret kritisierte Körtner in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ am Sonntag, 17.Jänner, die Praxis, „im wesentlichen über Pressekonferenzen“ zu informieren, in denen Kommunikation nicht auf Augenhöhe, sondern „von oben nach unten“ stattfinde. Es brauche keine Message Control, sondern vielmehr echte Überzeugungsarbeit, zumal sich politische Maßnahmen und Eigenverantwortung nicht ausschließen dürften. Zugleich brauche es eine strengere Umsetzung von Gesetzen. „Sonst entsteht in der Bevölkerung die Haltung: ‚Die Maßnahmen sind zwar da, aber wo finde ich den Schlupfwinkel?‘“

Nach einer ersten Phase des nationalen Schulterschlusses im Frühling sei dann im Herbst wieder die „politische Realität“ eingetreten, bei der primär Partikularinteressen ausgefochten worden seien. „So zynisch es klingen mag, es ist fast ein Glücksfall, dass es jetzt diese neue Mutation gibt, weil plötzlich eine Einstimmigkeit vorgeführt werden konnte“, sagte Körtner mit Verweis auf die britische Virusvariante B 1.1.7, die als hochansteckend gilt und maßgeblich zur Verlängerung des Lockdowns bis 8. Februar beigetragen hat. Zugleich sei immer wieder vermittelt worden, ein endgültiges Ende der Krise sei in Sicht, zuletzt mit Beginn der Impfungen: „Es ist nicht nur die britische oder brasilianisch-japanische, es gibt noch eine Menge anderer Mutationen, die da auf uns zukommen könnten, abgesehen davon, dass es auch andere Viren gibt, die uns noch große Probleme bereiten können“, unterstrich der Ethiker. Es gelte, realistische Ziele zu setzen, die kohärent mit dem aktuellen Geschehen seien: „Wenn wir jetzt sagen: ‚Nur noch 10 Kilometer, dann haben wir’s geschafft.‘ Was ist dann, wenn nach der nächsten Abbiegung steht: ‚Nochmal 20 Kilometer?‘“

Anschober: Nicht gelungen, Menschen in Herbst mitzunehmen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober räumte auf die Kritik Körtners hin durchaus Fehler in der Kommunikation ein, hielt aber an der generellen Strategie der Regierung fest: „Aus Fehlern muss man lernen.“ Im Sommer habe es zahlreiche Öffnungsschritte gegeben. Das habe zu einer veränderten Grundstimmung in der Gesellschaft geführt. Im Krisenherbst die Menschen wieder mitzunehmen sei zu wenig gelungen. Eva Schernhammer, Epidemiologin vom Zetrum für Public Health der MedUni Wien vermisste die öffentliche Wertschätzung von Personengruppen, die von der Krise besonders betroffen seien: „Es ist sehr differenziert, wie jeder damit umgehen konnte, etwa durch Berufe, Wohngegebenheiten.“ Man habe den Menschen viel abverlangt. „Ich denke, dass hier noch Raum wäre, anzuerkennen, dass es für viele nicht einfach war und dass man denen, die dazu beitragen, die Gesellschaft aufrechtzuerhalten, mehr Dank zollen muss.“

Wiedermann-Schmidt: Rettung ist mit Impfung noch nicht gekommen

Die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien forderte Teststrategien für jeden Betrieb. Auch Selbsttests seien eine gute Variante. Sie kritisierte jedoch eine Haltung, die suggeriere: „Die Impfung ist da und jetzt ist die Rettung da. Das wird noch dauern und da braucht es verschiedene Strategien.“ Die Hoffnung, dass die Krise mit dem Sommer überstanden sei, dämpfte auch der Virusimmunologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dazu wisse man einfach zu wenig über das Virus. Er rechne mit sinkenden Zahlen nach Ostern, aber auch damit, dass diese im Herbst wieder steigen würden.

Popper: „Ich muss etwas bekommen“

Anreize, die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus einzuhalten, sah der Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Universität Wien als Schlüssel: „Ich muss tauschen, ich muss irgendetwas bekommen“, etwa dass Schulen wieder aufgesperrt werden könnten, wenn sich jeder und jede testen ließe. „Wir sehen in den Modellen, dass das gut funktioniert.“

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