Monster Einsamkeit
Maria Katharina Moser will mehr übers Einsamsein reden
Das Telefonat mit Elise geht mir noch nach. Sie sei sich selber so fremd, hat sie erzählt. Es gehe ihr doch gut, besser als vielen, sie habe ihren Job, etwas zu tun und ein gesichertes Einkommen. Und trotzdem verspüre sie diese Leere, besonders über die Feiertage. In der Nacht schlafe sie schlecht, tagsüber sei sie müde und könne sich kaum aufraffen, um spazieren zu gehen. Wir reden eine Zeit lang, dann beschließe ich, es anzusprechen: Ob sich Elise denn einsam fühle?
Beim Thema Einsamkeit fällt mir das Kinderbuch „Edith und das Monster“ ein. Edith findet eines Morgens ein kleines Monster in ihrem Kasten. Das Monster ist hungrig. Also füttert Edith es. Ediths Mutter wundert sich über den steigenden Lebensmittelverbrauch, aber Edith Vater tut das ab und liest weiter in seiner Zeitung. Das geht eine Zeit lang so dahin. Das Monster wird größer und größer. Eines Tages entdeckt Ediths Mutter das Monster. Sie will mit ihrem Mann drüber reden, aber der reagiert kaum. Monster? Gibt es doch nicht! Das Monster wächst und wächst. Bis es eines Tages nicht mehr zu ignorieren ist und klar wird: Es muss sich etwas ändern. Endlich reden Ediths Eltern miteinander und mit Edith. Am nächsten Tag verlässt das Monster das Haus.
Die Einsamkeit kann solch ein Monster sein. Sie wächst und wächst, während wir uns denken: Einsam? Ich? Andere vielleicht. Aber ich doch nicht, ich bin doch nicht einsam! Einsamkeit ist oft stigmatisiert. Einsam zu sein, wird als Schwäche ausgelegt. Das macht es schwer, sich selber und anderen gegenüber einzugestehen, dass man einsam ist. Und das Schweigen gibt dem Monster Einsamkeit neue Nahrung, es wächst und wächst.
Dabei ist Einsamkeit ein verbreitetes Problem, besonders jetzt, im Lockdown: 17 Prozent fühlen sich, wie das Austrian Corona Panel der Uni Wien herausgefunden hab, täglich bis mehrmals die Woche einsam, weitere 22 Prozent an manchen Tagen.
„Einsamkeit ist wie chronischer Stress“, sage ich zu Elise. „Wir müssen mehr über Einsamkeit reden.“ Ich merke, wie Elises Lebensgeister wieder zurückkehren, je länger wir über das Monster Einsamkeit sprechen. „Weißt du was“, sagt Elise schließlich, „ich werde bei einer Nachbarschaftshilfe oder einem Plaudertischerl mitmachen. Ich hab gelesen, da werden noch Leute gesucht. Warum nicht anderen das geben, was ich selber vermisse?“