Verklärt
Julia Schnizlein über die Schattenseiten der Heiligen
Sie ist ein Teenager, kaum 14, ungeplant schwanger. Der Mann an ihrer Seite will sie verlassen, weil das Kind in ihrem Bauch nicht seines ist. Sicher hat sie Schmerzen, die ersten Senkwehen – bis zur Geburt sind es nur mehr wenige Wochen. Aber an Ausruhen ist nicht zu denken. Das Paar muss sich registrieren lassen. Stunden- ja tagelanges Warten, dicht gedrängt an fremde Menschen ist vorprogrammiert. Wie mag sich Maria damals gefühlt haben?
Ich kann mir vorstellen, dass sie zerrissen war, in der Widersprüchlichkeit von Gefühlen und Gedanken. Sicher war da eine große Vorfreude: Endlich das Baby sehen, fühlen, riechen. Maria wusste, dass dieses Kind ein Segen war. Der Engel hatte es ihr gesagt, so erzählt es die Bibel. Und trotzdem kann ich mir vorstellen, wie sehr die Umstände dieses junge Mädchen geängstigt haben. Wie sie mit ihrem Schicksal haderte. Vielleicht spürte sie auch, dass dieses besondere Kind ihr Schmerzen bereiten würde, weit über die Geburt hinaus.
Diese Maria ist mir sehr nah. Als Frau. Als Mutter. Als Zerrissene. Als Hoffende. Womit ich weniger anfangen kann, ist das Bild der Heiligen und Lichtgestalt, das sich im Lauf der Jahrhunderte um sie gesponnen hat. Vielfach wurde Maria auf die Rolle der reinen und demütigen Magd reduziert, deren große Aufgaben darin lagen, als Jungfrau ein Kind zu gebären und selbst „unbefleckt“ empfangen worden zu sein.
Eine solche Verklärung blendet die Vielfalt und Ambivalenz einer Person völlig aus. So wie beim Heiligen Nikolaus. Zweifelsohne war der Bischof von Myra eine herausragende Persönlichkeit, ausgestattet mit einem hohen Maß an sozialem Engagement und Zivilcourage. Dass er auch aufbrausend, unkontrolliert und zornig sein konnte, wird dahingegen weniger gern erwähnt. Dabei hat er beim Konzil von Nicäa (325 n.Chr.) seinen Widersacher Arius aus Wut über dessen Aussagen dermaßen geohrfeigt, dass der sich zweimal um sich selber drehte. Heute würde man so ein Verhalten wohl lieber dem Krampus in die Schuhe schieben.
Gerechter oder Sünder, Heilige oder Hure, schwarz oder weiß – das kommt heraus, wenn man Menschen verklärt. Dabei haben alle ihre Licht- und Schattenseiten. Auch Heilige. Das macht sie zu dem, was sie sind: menschlich.
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