Abschied auf Abstand
Maria Katharina Moser über den Tod und das Leben
Wenn im November die Tage kürzer und die Nächte länger werden, gedenken wir der Verstorbenen. Mit einem Besuch am Grab, bei einer Andacht in der Kirche. Auch meine Gemeinde lädt heute am Allerheiligentag ein zu Trostandachten in der Friedhofskirche – besonders eingeladen, mit einem eigenen Brief, werden alle, die im vergangenen Jahr auf unserem Friedhof einen Angehörigen zu Grabe tragen mussten. Doch dieses Jahr wird manches anders sein. In der Andacht wird auf Abstand geachtet, Masken werden getragen, auf Gemeindegesang muss verzichtet werden. Es werden Trauernde kommen, die während Corona einen geliebten Menschen verloren haben, die vielleicht nicht ins Krankenhaus durften, um sich zu verabschieden, oder aufgrund von Teilnahme-Begrenzungen nur über Internet-Stream bei der Beerdigung dabei sein konnten. Und es wird keinen Kuchenstand geben.
Der Kuchenstand rund um den 1. November ist eine Tradition, die unserer Gemeinde lieb und teuer ist. Er schafft Raum für Begegnung und Gespräche. Vor oder nach dem Besuch am Grab einen Kaffee zu trinken, direkt am Friedhof, macht den Friedhof zu einem Ort, an dem sich Leben und Tod verbinden. Durch das gemeinsame Essen wird das Leben mit hinein genommen in die Konfrontation mit dem Tod, und Trauer und Abschied werden hinein genommen ins Leben. Dieser Tradition heuer nicht folgen zu können, ist für mich ein Beispiel für die Auswirkungen der Coronakrise: Sterben und Tod werden einmal mehr fortgeschafft hinter die Kulisse des gesellschaftlichen Lebens. Und das, was tröstet, wenn die Trauer uns die Sprache verschlägt, Tränen unsere Stimme ersticken, die Worte versagen, wird zum Problem: Begegnung, Nähe, Berührung.
Es ist gut, alljährlich zu Allerheiligen den Tod vor die Kulissen zu holen. Heuer ganz besonders. Denn der „Erfolg“ im Umgang mit der Coronakrise wird sich auch daran bemessen, welche Sterbekultur wir pflegen: Sterben und Abschied bewusst gestalten. In Würde und Intimität. Sterbende und Trauernde nicht der Einsamkeit überlassen. Das Sterben in den Lebenszusammenhang integrieren.
Meine Gedanken und Gebete sind bei allen, die auf Abstand trauern müssen und einsam sind in ihrer Trauer. Mögen sie spüren, was das Kirchenlied „So nimm denn meine Hände“ ausdrückt: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht. Du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht.“