Tinder Gottes?
Julia Schnizlein über das Kennenlernen im Netz
„Wie habt ihr euch denn kennengelernt“, frage ich das Brautpaar bei unserem ersten Traugespräch. Kurze Stille, bis sie peinlich berührt sagen: „Eh wie alle: Im Netz. Aber das muss man bei der Trauung nicht erwähnen.“
Manchen Paaren fällt es schwer, zuzugeben, dass sie sich nicht auf „traditionellem Weg“ kennengelernt haben. Es scheint, als ob dem Online-Dating der Hauch eines Makels innewohnt. Und das, obwohl heutzutage mehr Menschen über Dating-Apps zusammenfinden als über Arbeit oder Freunde. Warum also das negative Image?
Manche Menschen haben wohl das Gefühl, dass sie Gott oder dem Schicksal ins Handwerk pfuschen, wenn sie selbst zu proaktiv auf Partnersuche gehen und sich von Algorithmen verkuppeln lassen. Allerdings haben Menschen seit jeher versucht, dem Liebesglück auf die Sprünge zu helfen, sei das über Debütantinnenbälle, Kuppeleien im Freundeskreis oder Singlepartys. Dating-Plattformen sind da nur die logische Fortsetzung. Und sie gehen noch weiter: Das Internet bricht räumliche und soziale Grenzen auf und bringt Menschen mit ähnlichen Interessen und Neigungen zusammen, die sich im analogen Leben vielleicht nie begegnet wären. Nicht ohne Grund enden etliche Online-Dates in einer Ehe – ein Drittel aller Brautpaare hat sich laut Statistik im Netz kennengelernt.
Aber natürlich hat das Ganze auch Schattenseiten. Die hohe Verfügbarkeit von Partner:innen und die unendlichen Wahlmöglichkeiten führen dazu, dass man weniger Kompromisse eingeht. Manche wollen sich nicht festlegen, aus Angst, etwas „Besseres“ zu verpassen. Viele sind auch einfach erschöpft, überfordert und frustriert vom ständigen Swipen und Hoffen auf ein Match.
Außerdem sind Phänomene wie Bodyshaming – also Beleidigungen in Bezug auf Aussehen und Körper – im digitalen Raum weiter verbreitet als im analogen. Genau wie Belästigungen und unerwünschte Nachrichten, weshalb die Beliebtheit von Tinder und Co. vor allem bei jungen Frauen deutlich nachlässt.
Klar ist, dass es beim Kennenlernen und Daten Spielregeln und ethische Richtlinien geben muss – im Analogen wie im Digitalen. Klar ist aber auch, dass sich Gottes Zutun beim Zusammenfinden von Paaren nicht auf „traditionelle“ Wege beschränkt. Gottes Wege sind unergründlich, und sie führen ganz sicher auch am Internet nicht vorbei.