Ökumenischer Gottesdienst in KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Chalupka: Nationalsozialismus betrieb Politisierung des Rechts – Scheuer: Macht mit Recht eindämmen
Linz (epdÖ) – Mit einem ökumenischen Gottesdienst haben die christlichen Kirchen der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen am 5. Mai 1945 durch US-amerikanische Truppen gedacht. In dem Lager und seinen 49 Nebenlagern waren insgesamt rund 200.000 Personen inhaftiert – mindestens 90.000 davon wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Den Gottesdienst am Sonntagmorgen in der Kapelle der Gedenkstätte gestaltete der Linzer römisch-katholische Bischof Manfred Scheuer gemeinsam mit dem evangelisch-lutherischen Bischof Michael Chalupka. Ein Vertreter der Orthodoxie fehlte, da die orthodoxen Kirchen (nach dem julianischen Kalender) am 5. Mai Ostern feiern. Der Gottesdienst bildete zugleich den Auftakt zur Gedenkfeier, die heuer unter dem Thema „Recht und Gerechtigkeit im Nationalsozialismus“ stand, an der tausende Menschen teilnahmen – darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Bischof Michael Chalupka unterstrich in seiner Ansprache die Bedeutung des Rechts. Der Nationalsozialismus habe eine „Politisierung des Rechts“ betrieben, „um die Diktatur zu untermauern“. Millionen von Menschen, so Chalupka, haben im nationalsozialistischen Staat erfahren, „wie Recht und Gerechtigkeit gebeugt und missbraucht wurden“. Im Nazi-Staat sollte das Recht der Politik dienen, um den Umbau des Staates in eine Diktatur theoretisch zu untermauern und autoritäre und dem Rechtsstaat widersprechende Rechtsprinzipien zu legitimieren.
Zudem erinnerte der Bischof daran, dass auch das Recht auf freie Religionsausübung bzw. Religionsfreiheit im KZ Mauthausen außer Kraft gesetzt wurde. Gebet und Seelsorge galten als Akte des Widerstands – eine Regelung, durch die Mauthausen sogar unter den weiteren Konzentrations- und Vernichtungslagern des Dritten Reiches herausstach, so Chalupka. Es sei wichtig, sich an jedes einzelne Leben der Opfer zu erinnern, mahnte der Bischof, „damit die Auslöschung nicht nach dem Tode der Opfer weitergeht“. Dem Bösen, der Gewalt, der Anmaßung und der Diskriminierung zu widerstehen, sei nicht nur ein politischer Akt des Protestes. Widerstand habe vielmehr das Ziel, „den Respekt vor dem Leben, die Gleichwertigkeit aller Menschen, die Wahrung ihrer Würde im Alltag zu zeigen und zu bezeugen“.
Damit sei das „Wehret den Anfängen“, der Widerstand gegen jede Verherrlichung der Gewalt und die Zivilcourage, die Diskriminierung in ihre Schranken zu weisen, „ein Teil des Einsatzes für Recht und Gerechtigkeit, die nicht der Politik folgen, sondern sie begrenzen und einhegen“, betonte der evangelisch-lutherische Bischof.
Scheuer: Mit Recht gegen Tyrannei und Willkür
In seiner Predigt betonte Bischof Manfred Scheuer die Bedeutung des Rechts zur Eindämmung von Macht, Willkür und Unmenschlichkeit. „Nicht das Unrecht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts muss gelten“, so Scheuer. Wo immer das Recht verunglimpft oder unter Verdacht gestellt werde, gelte es wachsam zu sein, mahnte der Bischof. „Die rechtlose Freiheit ist Anarchie und darum Freiheitszerstörung. Das Gegenteil von recht ist nicht die Liebe, sondern das Unrecht.“ Der Nationalsozialismus habe das Recht gebeugt und Menschenrechte durch ein Recht des Stärkeren ersetzt. Die Folge seien Misshandlungen, Drohungen, Deportationen, Internierung und Ausmerzung von Behinderten, Juden und anderen gewesen. Recht und Rechtsstaat hingegen stünden „in striktem Gegensatz zur Tyrannei und zur Willkür“ – und müssten daher heute um so mehr verteidigt werden.
Gedenken an Widerstandskämpfer
Stellvertretend für die in Mauthausen inhaftierten Personen wurde in dem Gottesdienst an René Lescoute (1920-1945) und Jean Cayrol (1911-2005) erinnert. Beide engagierten sich in Frankreich in der Widerstandsbewegung:
Lescoute, geboren in Südafrika, entstammte einer Familie, die in der reformierten „Mission de Paris“ engagiert war. Er studierte evangelische Theologie an der Universität von Montpellier und schloss sich 1943 dort einer Widerstandsgruppe in den Bergen in der Nähe von Grenoble an. Die Gruppe wurde verraten und am 19. Oktober 1943 verhaftet. Lescoute wurde von einem Militärgericht in Lyon zum Tode verurteilt, im Jänner 1944 aber überraschend begnadigt. Über mehrere Lager gelangte er im April 1944 nach Mauthausen. Körperlich bereits stark geschwächt, musste er zunächst Arbeit in Mauthausen selbst sowie im Außenlager Linz III leisten, schließlich im Lager Ebensee beim Stollenbau. Diesen Einsatz überlebte er nicht, er fand am 28. Jänner 1945 dort den Tod.
Cayrol, geboren 1911 in Bordeaux, von Beruf Bibliothekar und Schriftsteller, wurde nach langer Tätigkeit für die katholische Widerstandsgruppe „Confrérie Notre-Dame“ von der Sicherheitspolizei Paris verhaftet und Ende März 1943 ins KZ Mauthausen deportiert. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft wurde er ins Lager Gusen überstellt. Nach mehr als sechs Monate qualvoller Arbeit im Steinbruch war er völlig erschöpft. Er erhielt Hilfe durch den katholischen Priester Johann Gruber, auch „Papa“ Gruber genannt, der als Funktionshäftling im Lager Gusen ein Hilfsnetzwerk für Mithäftlinge aufgebaut hatte und zusätzliche Verpflegung organisierte. Gruber wurde selbst am 7. April 1944 in Gusen ermordet, Cayrol schrieb im Verborgenen Texte und widmete Gruber später den Gedichtband „Poèmes de la nuit et du brouillar“ (Nacht und Nebel). Cayrol überlebte und veröffentlichte 1997 eine Auswahl seiner Texte unter dem Titel „Alerte aux ombres“. Unter dem Titel „Schattenalarm“ wurden sie 2019 in deutscher Sprache veröffentlicht.
„Das Recht richtete sich nach der Politik“
Auch in den offiziellen Ansprachen spielte das Thema des diesjährigen Gedenkens eine Rolle. So nahm der Vorsitzende des Mauthausen Komitees (MKÖ), Willi Mernyi, wohl auf ein umstrittenes Zitat von FPÖ-Chef Herbert Kickl aus dessen Zeit als Innenminister Bezug, demnach das Recht der Politik folgen sollte. Mernyi dazu: „Die Nazis suchten ein Rechtssystem, in dem sich ihre Ideologie widerspiegelte. Das Recht richtete sich nach der Politik.“
„Wenn wir von Recht und Gerechtigkeit sprechen, beziehen wir uns auf ein Konzept, in dem es um faire Behandlung von Personen geht“, sagte Mernyi in seiner Ansprache, es gehe um Gleichheit vor dem Gesetz, niemand dürfe bevorzugt oder benachteiligt werden, „unabhängig von der Herkunft, vom Status“, aber: „Im Nationalsozialismus war nichts von dem Realität.“ Auch heute noch werde das Recht von autoritären Regimen missbraucht, „die Demokratie wie wir sie nach dem Ende des Faschismus aufgebaut haben, darf nicht zu einer illiberalen Demokratie verkommen“, warnte Mernyi, „das sind wir den Opfern schuldig“.
Das offizielle Österreich war am Sonntag durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Innenminister Gerhard Karner und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) sowie Justizministerin Alma Zadic, Sozialminister Johannes Rauch und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (alle Grüne) vertreten, ebenso nahm der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) am Gedenkzug teil, zahlreiche Vertreter von Nationalrat, Bundesrat, von ÖVP, SPÖ, Grünen, NEOS und KPÖ, der Religionsgemeinschaften und internationale Gäste aus den Herkunftsländern der Opfer erwiesen diesen die Ehre.
„Fest der Freude“ auf dem Heldenplatz
Am Mittwoch, 8. Mai, dem 79. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, findet ab 19.30 Uhr das „Fest der Freude“ auf dem Wiener Heldenplatz statt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird die Eröffnungsworte sprechen. Als Zeitzeugin wird Rosa Schneeberger auftreten. 1936 in Wien geboren, wurde sie 1941 gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern verhaftet und in das Lager Lackenbach im Burgenland – im NS-Jargon auch „Zigeuner-Anhaltelager“ genannt – deportiert. Vier Jahre ihrer Kindheit musste sie in diesem Lager unter unmenschlichen Bedingungen verbringen, bis zur Befreiung 1945.
Das Fest der Freude wird auf ORF III übertragen und auf den Online-Kanälen des MKÖ international gestreamt. (Programm und weitere Info: www.mkoe.at)