Der Tag der Schallplatte
Michael Chalupka über „eine Gabe und ein Geschenk Gottes“
Heute ist der Tag der Schallplatte. Für meinen Vater war jeder Tag Tag der Schallplatte. Er hatte eine „Play-List“, eine Liste seiner liebsten Musikstücke, und die begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Er liebte Benjamino Gigli, Enrico Caruso und Joseph Schmidt, die großen Tenöre seiner Jugend. Von ihnen allen hatte er Platten, allerdings keine Vinylplatten, sondern Schellacks. Die wurden aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus hergestellt, am Plattenspieler mit 78 Umdrehungen abgespielt, liefen nur etwa vier Minuten und waren ziemlich schwer.
Das hinderte meinen Vater nicht daran, seine „Play-List“ immer mit sich zu führen. So wie das heute die jungen Leute auf ihren Handys tun. Seine Lieblingsplatten passten mitsamt dem Plattenspieler in einen großen Koffer. Mein Vater war ein kleiner Mann. So konnte man in den 50er Jahren auf österreichischen Bahnhöfen einen kleinen Mann mit großem Koffer, Hut und Handgepäck reisen sehen. Im Koffer reiste, woran sein Herz hing.
Martin Luther meinte einst: „Woran dein Herz hängt, das ist eigentlich dein Gott.“ War die Schallplatte also der Gott meines Vaters, und ist das sein Feiertag? Ich denke nicht. Denn seine Liebe galt der Musik. Und „die Musik ist eine Gabe und ein Geschenk Gottes; sie vertreibt den Teufel und macht die Menschen fröhlich“, so auch Martin Luther. Dieses Geschenk Gottes überall hören zu können, war ihm jede Mühe wert.