Gerechter Friede, multiple Krisen und Resilienz
Gesamtösterreichische Pfarrer:innen-Tagung in Rust
Rust (epdÖ) Was ist Friede? Einig waren sich die Experten bei der Podiumsdiskussion im Rahmen der gesamtösterreichischen Pfarrer:innen-Tagung, dass Friede mehr bedeute als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. „Wir müssen genau hinschauen, was Friede ist“, betonte Friedensforscher Thomas Roithner und lenkte den Blick auch auf strukturelle und kulturelle Gewalt. Ebenso gehörten ökologische und soziale Aspekte mit hinein, sagte Roithner und merkte kritisch an, „beim Reden über Frieden und Gerechtigkeit auch den Balken im eigenen Auge“ nicht zu übersehen. Das Nachdenken über ein Leben zwischen Krieg und Frieden, den „gerechten Frieden“ und Ressourcen, die in Zeiten multipler Krisen Resilienz stärken können, prägte die diesjährige gesamtösterreichische Pfarrer:innen-Tagung, zu der der lutherische Bischof Michael Chalupka, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld und der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer aus ganz Österreich von Montag bis Mittwoch nach Rust geladen hatten.
Am Ende des Tages könne sinnvollerweise nur ein „gerechter Friede“ stehen, unterstrich Militärsuperintendent Karl-Reinhart Trauner. In den aktuellen Debatten über den Krieg in der Ukraine vermisst Trauner die Zielvorstellungen und fordert einen Perspektivenwechsel ein: Statt zu fragen, wann Krieg gerechtfertigt sei, sollte es vielmehr darum gehen, mit welchen Mitteln sich das Ziel des gerechten Friedens erreichen lässt.
Die zivile Hilfe in Ungarn und Österreich sei „nach wie vor sehr groß“, bemerkte der Pfarrer der reformierten Pfarrgemeinde in Oberwart, Richárd Kádas. Je länger der Krieg jedoch andauere, stelle sich die Frage, „wie viel Kraft steckt noch in der Zivilgesellschaft?“ Kádas, der über enge Kontakte in die Grenzregion in Ungarn und in die Ukraine verfügt und selber von Anfang an humanitäre Projekte in der Grenzregion der Ukraine unterstützte, wies darauf hin, dass es „immer um einzelne Menschen mit ihren Sorgen“ gehe, das erfordere auch „ein großes Stück Empathie“ und das Verständnis, „dass die Zivilgesellschaft vor Ort oft eine andere ist als in Österreich“. Kirchen hätten die Aufgabe, christliche Utopien in die Gesellschaft einzubringen und Möglichkeiten des Dialogs zu eröffnen, „auch wenn es nicht immer leicht ist, Dialogpartner zu finden“, sagte Kádas.
Gewaltfreie Formen des Widerstands stärken
„Friede spielt sich im Kopf ab“, meinte Militärsuperintendent Trauner. Daher müsse Friedensarbeit bereits in der Schule beginnen. „Friede ist für mich dann, wenn die Seele weiten Raum hat“, so der Militärsuperintendent. Friedensforscher Roithner sprach sich dafür aus, gewaltfreie Formen des zivilen Widerstands zu stärken. Im Kreislauf ständig neuer Waffenlieferungen werde ausgeblendet, dass sich in der Geschichte zivile gewaltfreie Aufstände oft erfolgreicher erwiesen hätten als gewaltsame. Die Neutralität Österreichs sieht Roithner als Chance, denn „Neutralität bedeutet nicht nichts tun“. Österreich sei „nie gesinnungsneutral“ gewesen, es sei klar, dass der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Völkerrecht verletze. Als positiven Beitrag Österreichs nannte Roithner den Impuls zum Atomwaffenverbotsvertrag. Hier gehe es um einen „menschlichen Sicherheitsbegriff“ und nicht um die „Logik der Abschreckung“. Österreich habe jedenfalls viel Potential, aus der neutralen Position heraus konstruktive Beiträge zu leisten, die „mehr Stabilität in internationale Beziehungen einfließen lassen“. Im Rahmen der „Vielfalt der EU“ gelte es, „ein Stück weit die Tür für Verhandlungen offen zu lassen“ und gleichzeitig die Mechanismen der zivilen Gewaltfreiheit zu stärken.
Friedensethische Positionierungen zutiefst erschüttert
Auf die friedensethischen Debatten in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ging die Theologin Angelika Dörfler-Dierken vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ein. Der russische Überfall auf das freie Land der Ukraine habe die friedensethischen Positionierungen, die sich in der EKD seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in der Zeit des Kalten Krieges und nach dem Mauerfall ausgebildet hatten, „zutiefst erschüttert“, konstatierte die Theologieprofessorin, die an der Universität Hamburg lehrte. „Davor wurde nicht in den Blick genommen, dass andere Staatenlenker Krieg wollen oder gezielt brauchen“, sagte die Theologin. Inzwischen sei Brutalität zum beherrschenden öffentlich inszenierten Kult geworden, systematisch wurde von Russland Kriegsrecht gebrochen. Zu glauben, der Krieg wäre beendet, wenn sich die Ukraine auf Friedenshandlungen einließe, sei „Wunschdenken“. Dörfler-Dierken zeigte sich überzeugt, „dass die Lieferung von Waffen an die Ukraine dem Frieden in Europa dient“.
Performante Kraft biblischer Sätze
Impulse aus der Resilienzforschung brachte bei der Tagung die Dekanin der Evangelisch-theologischen Fakultät in Bonn, Cornelia Richter, ein. Die aus Österreich stammende evangelische Theologin, die hier auch zur Pfarrerin im Ehrenamt ordiniert wurde, wies dabei auf die „performante Kraft“ biblischer Sätze und Erzählungen hin, die ein „geniales Reservoir“ an Ressourcen bereitstellten. Die Bibel sei voll von Krisenerzählungen, Heilungs- und Rettungsgeschichten, die Halt geben können. Resilienz sei heute ein „Sehnsuchtsbegriff“ geworden, kritisierte die Inhaberin des Lehrstuhls für Systematische Theologie, „es ist gefährlich zu meinen, man könne Resilienz in schnellen Trainings erwerben“. Resilienz dürfe weder mit psychischem Wohlbefinden verwechselt werden noch gehe es dabei um Leistung und Selbstoptimierung. Richter definierte Resilienz als „ambivalentes Krisenphänomen par excellence“. Sie zeige sich erst im Durchleben einer existentiellen Krise, ohne Verlässlichkeit und „plug und play“, dass man bei einer nächsten Krise wieder gut reagieren könnte.
Zum Einstieg in das Tagungsthema „Friede braucht Kirche“ hatte am Montagnachmittag die Leiterin des Politikressorts der Wochenzeitung „Falter“, Eva Konzett, Impulse geliefert, die Klagenfurter Universitätsprofessorin Claudia Brunner vom Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung sprach in ihrem Referat über „Epistemische Gewalt als Herrschaftsmodus der kolonialen Moderne“.
Moderiert wurde die Podiumsdiskussion und die Tagung von Eva Harasta. Die Theologische Referentin von Bischof Michael Chalupka zeichnete auch für die inhaltliche Gestaltung der Tagung verantwortlich, die am Mittwoch mit einer Familienandacht zum Thema „Frieden und Gerechtigkeit“ zu Ende ging.