Warten
Maria Katharina Moser über ein leeres Blatt Papier
Die Coronakrise hat unser Leben zu einem Warteraum werden lassen. Wie entwickeln sich die Zahlen? Wann werde ich geimpft? Wann kommen Lockerungen? Zu dieser Situation passt das Fastenzeit-Projekt „warten“ der Stuttgarter Kirche St. Maria, das ich auf Social Media entdeckt habe. Ersonnen hat es der Künstler Sebastian Schmid. „Nimm ein leeres Blatt Papier“, lautet die Einladung. „Bewarte das Papier, als würdest du es mit Warten beschreiben.“ Wer will, kann die Erfahrungen des Wartens auch aufschreiben und teilen (www.sebastiants.de).
Mir gefällt die Idee. Also nehme ich ein Blatt Papier, befestige es mit einer Kluppe an der Zimmerpflanze neben meinem Sofa, damit ich es gut sehen kann, setze mich hin und warte. Sonnenlicht fällt durchs Fenster aufs Papier, die Blätter werfen ihre Schatten drauf. Wie lange wird das Warten dauern? So lange, bis man den Eindruck habe, dass das Papier mit Warten gefüllt ist, sagt Sebastian Schmid, meist dauere das zwischen fünf Minuten und einer Stunde.
Normalerweise wissen wir, wie lange wir warten müssen, kennen den – zumindest ungefähren – Zeitpunkt, bis ein Prüfungsergebnis oder eine Job Zusage kommt, der Nachtdienst zu Ende oder die Stunde der Geburt da ist. In der Coronakrise ist das anders. Wie lange wir warten müssen, bis unser Leben wieder „normal“ wird, ist ungewiss. Auf unbestimmte Zeit zu warten, zermürbt.
Der Schatten wandert über das Papier, ich höre leise Vögel im Hof zwitschern. Mein Buch gluckert. Dann wieder Stille. Stimmen im Gang. Die Nachbarsfamilie verlässt das Haus. Das Papier ist jetzt ganz im Schatten. In der Wohnung über mir geht der Staubsauger los. Die Geräusche des Lebens. Während ich warte, geht das Leben weiter. So ist das doch auch bei der Coronakrise, denke ich mir. Während wir auf das Ende der Pandemie warten, geht das Leben weiter.
Christen und Christinnen ist diese Art des Wartens vertraut. „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt“, heißt es im 2. Petrus-Brief. In der Bibel ist viel vom Warten die Rede. Einem Warten „auf Hoffnung hin“. Im Vertrauen darauf, dass das Gott die Niedergeschlagenen aufrichtet und am Ende Freude herrscht. Gleichzeitig geht das Leben weiter. Getragen von dieser Hoffnung. Mit diesem Gedanken ist mein Blatt gefüllt und ich beende das Warten. Nach 27 Minuten.