Mitleid bewegt

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über ein Gefühl, das ins Handeln führt

„Manchmal, wenn mir Menschen erzählen, wie es ihnen geht, und dabei zu weinen beginnen, schaffe ich es kaum, meine Tränen zurückzuhalten“, sagt Hilde. Ich muss an meine Schwester denken. Wenn ich als Kind geweint habe, zum Beispiel weil ich mir weh getan habe, hat meine Schwester mitzuweinen begonnen, auch wenn der Grund, der mich zum Weinen gebracht hat, sie gar nicht betroffen hat. Ich erzähle Hilde davon. „Schade eigentlich“, sage ich, „dass wir uns das als Erwachsene abgewöhnen.“ Wir kommen über Mitleid ins Gespräch.

Kann man den Schmerz oder das Leid anderer wirklich nachvollziehen? Und: Muss man sich nicht abgrenzen, wenn man anderen effektiv helfen will? Oder aber: Heißt bemitleiden nicht, sich über jemand zu erheben und dann gar zu bevormunden? Andererseits: Was geht uns verloren, wenn uns Empathie und Mitleid verloren gehen?

Vielleicht kennen Sie das: Sie sind traurig oder verzweifelt oder auch wütend – und jemand erklärt Ihnen: Ist doch nicht so schlimm! Sie können damit wahrscheinlich wenig anfangen und denken sich: Doch! Es ist so schlimm! Wir wollen mit unseren Gefühlen wahrgenommen und ernst genommen werden. Genau darum geht es beim Mitgefühl: Die Situation und die Gefühle anderer anzuerkennen. Sich vom Leid anderer anrühren zu lassen. Sich nicht abzuschotten. Das Gegenteil von Em-pathie ist A-pathie, Teilnahmslosigkeit. Apathie führt in die Gleichgültigkeit, in die Beziehungslosigkeit und auch ins Sichabfinden mit Leid und Ungerechtigkeit.

Im Lukas-Evangelium wird berichtet, dass ein Gesetzeslehrer Jesus fragt: „Wer ist denn mein Nächster?“ Jesus antwortet mit einer Geschichte: Ein Mensch ist unter die Räuber gefallen. Halbtot liegt er am Wegrand. Ein Priester kommt, sieht ihn – und geht weiter. Ein Levit, ein Tempeldiener kommt, sieht ihn – und geht weiter. Ein Samariter, ein Ausländer, kommt, sieht ihn – und hat Mitleid. Martin Luther übersetzt: „Und als er ihn sah, jammerte es ihn“. Der Samariter geht nicht weiter. Er bleibt stehen: „Und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.“

Mitleid bewegt. Es ist ein Gefühl, das, wenn es uns erfasst, ins Handeln führt. Mitleid öffnet unser Herz für die Not einer anderen Person und motiviert uns, unseren Nächsten zu helfen. Am Ende unseres Gesprächs kommen Hilde und ich zu dem Schluss: Mitleid fehlt oft in unserer Gesellschaft. Und würde ihr guttun. Mitleid bewegt uns dazu, Leid und Ungerechtigkeit nicht hinzunehmen und solidarisch zu sein.

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