Keine Bildung ohne Religion – keine Religion ohne Bildung!

Ein Interview mit Oberkirchenrat Mag. Karl Schiefermair zum "Jahr der Bildung"

 
von Martina Schomaker
Das Logo des heurigen Themenjahres
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Pfarrgemeinden und das „Jahr der Bildung“? Konfessioneller Religionsunterricht? Berufsalltag der Religionslehrenden? Ein Interview mit Oberkirchenrat Mag. Karl Schiefermair für das Magazin "Evangelisches Wien" (Ausgabe 1_2015).

EVANGELISCHES WIEN: Die Evangelische Kirche in Österreich hat für 2015 das „Jahr der Bildung“ ausgerufen. Herr Oberkirchenrat, was wird in diesem „Jahr der Bildung“ von den einzelnen Pfarrgemeinden erwartet?

KARL SCHIEFERMAIR: Die Pfarrgemeinden werden ermutigt, in ihren und mit ihren Möglichkeiten Bildungsprojekte in Gang zu bringen, zum Beispiel Deutschkurse für Asylsuchende, „Lern-Cafés“ für  lernschwache SchülerInnen, Vorleseprojekte in Alten- und Pflegeheimen und anderes mehr.

Vor allem werden Pfarrgemeinden angesprochen, auf deren Gebiet evangelische Kindergärten und Schulen liegen: wie sind die gegenseitigen Erwartungen, wo gibt es schon Kooperation, was ist sinnvoll, was kann man bleiben lassen?

Manche Pfarrgemeinden organisieren ganze Predigtreihen zum Thema, organisieren im Rahmen der Erwachsenenbildung Vorträge, Seminare und Reisen, veranstalten Konzerte unter dem Logo des Bildungsjahres.

Es passiert Gott sei Dank immer viel mehr, als die Kirchenleitung erfährt und weitergeben kann: so soll es ja auch sein, Hauptsache, das Anliegen „Bildung“ wird weiter transportiert.

  EVANGELISCHES WIEN: Alle Aktivitäten und Termine werden auf der Website www.bildungundreformation.at gesammelt. Auf welche Veranstaltung freuen Sie sich am meisten, Herr  Schiefermair?

KARL SCHIEFERMAIR: Puuh – es gibt so vieles! Gerade haben wir die Mappen der Umweltbeauftragten für die Pfarrgemeinden fertiggestellt, der Bildungsbericht ist erschienen und wurde präsentiert, die Pressekonferenzen in den Bundesländern sind absolviert ...Derzeit passiert sehr viel und ich staune über die positive Aufnahme in Kirche und Öffentlichkeit! Es gibt ja nichts „Unwichtiges“ im Rahmen der Bildung! Und nichts möchte ich vermissen!

Besonders freut man sich immer darauf, wo man selber beteiligt ist. Da ist die große Ring-Vorlesung über die Bedeutung der Reformation für das Bildungsgeschehen heute mit der Universität Wien, aber auch eine Veranstaltung am „Bildungssonntag“ 15. März in „meiner“ Pfarrgemeinde Mödling, wo ich in meiner Sprache (steirisch) kleine Geschichten von Peter Rosegger vorgetragen habe.

Nicht zu vergessen die Aktivitäten im Religionsunterricht und auf dem Gebiet der Musik!

EVANGELISCHES WIEN: Eine Facette des „Evangelisch-Seins“ ist, sich mit der heutigen, aktuellen Gesellschaftslage auseinanderzusetzen. Welche politische Forderung oder Forderungen stellt die Evangelische Kirche in Österreich im „Jahr der Bildung“?

KARL SCHIEFERMAIR:  Es gibt wenig „offizielle“ Beschlüsse zu Bildungsfragen, etwa durch die Generalsynode. Trotzdem lassen sich aus der evangelischen Tradition und aus den vielen Problemen rund um Bildungsfragen etliche Forderungen erheben:

Bildung darf nie auf Ausbildungsfragen reduziert werden! Öffentliche wie private Bildungsträger müssen mehr zusammenarbeiten, genauso wie formale und nichtformale Bildung als gleichwertig anerkannt werden müssen. Dies könnte in regional gut vernetzen Bildungslandschaften zum Wohle aller passieren.

Ein weiteres wichtiges Wort ist: Bildungsgerechtigkeit!  Wir wissen, dass sich in Österreich der Bildungsabschluss der Elterngeneration quasi „vererbt“. Im internationalen Vergleich haben gerade in Österreich junge Menschen wenige Chancen, durch Bildung zu einem sozialen Aufstieg zu kommen. Wir fragen uns: Welche Strukturen befördern oder behindern gerechtere Bildungsteilhabe? Und das müssen wir auch unsere eigenen Schulen und Kindergärten fragen.

So denken wir ist es hoch an der Zeit, dass das ganze Schulsystem unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und der Inklusion schrittweise neu strukturiert wird und dass dabei die, die dieses System gestalten und bespielen, nicht vergessen sondern einbezogen werden.

Für uns als Kirche gilt besonders: Keine Bildung ohne Religion – keine Religion ohne Bildung! Diese so einfach klingende Formel steht doch in einer harten Spannung zum derzeit geführten Bildungsdiskurs, in dem man glaubt, religiöse Konflikte durch weniger Religion zu behandeln. Die religiöse Dimension des Menschen zu unterschätzen und zu übersehen, führt zu großen Fehlern in der Bildungsaufgabe.

EVANGELISCHES WIEN: Warum sollte jede Schülerin, jeder Schüler konfessionell gebundenen Religionsunterricht besuchen? Und was sollten diejenigen ohne religiöses Bekenntnis belegen?

KARL SCHIEFERMAIR:  Der Religionsunterricht (RU) war und ist die größte Bildungsveranstaltung in kooperativer Verantwortung der Kirche. Und wird es bleiben. Die Frage wird ja immer wieder gestellt, wie sich der konfessionelle RU in der Schule legitimiert. Nota bene: diese Frage wird an den Mathematikunterricht nicht gestellt.

Man kann zwei Argumentationslinien folgen: Die eine geht von der Menschenrechten aus, Artikel 18 und 26. Im Artikel 18 geht es um die Religionsfreiheit: RU ist Ausdruck der positiven Religionsfreiheit. Der Artikel 26 bestimmt die Bildungsziele; unter anderem als Beitrag zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen religiösen Gruppen. Meine Frage ist: Wie erlangt man  Verständnis und Toleranz? Verständnis kommt von Verstehen, Toleranz von Kennen- und Akzeptierenlernen. Die  gesellschaftliche Institution, in der man derlei im öffentlichen Raum und begutachtet lernt, ist die Schule. Die Gesellschaft stellt für solches Lernen keinen anderen Raum zur Verfügung. Daher gehört religiöses Lernen in die Schule, sowohl Lernen über Religion, wie auch Lernen für die eigene Religion.

Die andere Argumentation befragt den Bildungsauftrag der Schule. Nimmt die Schule weiterhin einen umfassenden Bildungsauftrag wahr  - und ich hoffe, sie tut es weiterhin! -, dann  ist weltweit unumstritten, dass Schule eine religiöse Bildung ermöglichen und entsprechende Angebote stellen  muss.  Dass es in Österreich der konfessionelle RU ist, der auf die Anforderungen eingeht, die aus dem Bildungsinhalt „Religion“ erwachsen, hat historische und schulorganisatorische Gründe. Nachdem wir heute mit Multikulturalität und -religiosität konfrontiert sind, müssen sich die Schulen auch als Orte diesbezüglicher  Begegnung verstehen lernen. Da ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Der RU muss sich - auch im Sinne der neuesten EKD-Denkschrift zum RU - als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule verstehen, entsprechende Didaktiken entwickeln und die Schulorganisation muss aufhören, den RU in ein „konfessionalistisches“ Eck zu stellen und zu benachteiligen. Ebenso muss endlich dafür gesorgt werden, dass ALLE Schülerinnen und Schüler verpflichtet werden,  die Bildungsinhalte bezüglich einer Fähigkeit, Pluralität zu verstehen und zu leben, auch in der religiösen Gestalt zu erarbeiten. In den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen dieser Tage brauchen wir diese Fähigkeiten dringend!

EVANGELISCHES WIEN: Eine Voraussetzung für guten Religionsunterreicht sind gute Religionslehrende: Was läuft gut und was könnte in der Ausbildung und im Berufsalltag der Religionslehrenden verbessert werden? 

KARL SCHIEFERMAIR: In diesen Tagen ist eine Studie erschienen (Miklas/Pollitt/Ritzer: „Ich wünsche mir aufrichtige Anerkennung unserer Arbeit ...“ Berufszufriedenheit, Belastungen und Copingstrategien evangelischer ReligionslehrerInnen in Österreich, Waxmann 2015), die der Zufriedenheit der RU-lehrenden nachgeht, sie auf ihre Belastungen befragt und auf ihre Ressourcen. Gott sei Dank sind die ReligionslehrerInnen in ihrem Beruf großteils zufrieden und eher nicht Burnout gefährdet. RU-Lehrende sind aber stark engagierte und geforderte Personen, sodass auch die Belastungen hoch sind. Bei allen Institutionen, die dafür Sorge zu tragen haben, soll das Sensorium für diese Belastungen weiter wachsen. FachinspektorInnen und Schulämter sowie Pfarrgemeinden geben Unterstützung zur Verarbeitung dieser Belastungen.

Die Ausbildung aller Lehrämter ist im Umbruch. Die „PädagogInnenbildung NEU“ ist noch immer nicht ganz auf Schiene, das Schlachtfeld ist und bleibt die Sekundarstufe I. Wir können uns nicht ganz aus dieser Misere ziehen, haben aber in der KPH Wien/Krems und der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien zwei verlässliche und hochkompetente Partner für diese Ausbildungsfragen, sodass ich zuversichtlich bin, alle damit in Zusammenhang stehenden Fragen auch lösen zu können.  Da sich gerade über die Arbeit in der KPH die Berührungs- und Begegnungsängste zwischen den Konfessionen und Religionen verringern, bin ich auch zuversichtlich, dass wir gemeinsam die strukturellen Rahmenbedingungen des RU verändern und  verbessern können.

Zur Person:

Prof. Mag. Karl Schiefermair ist geistlicher Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Österreich. Außerdem ist er Vorsitzender der Bildungskommission der Generalsynode.

Weitere Informationen, Termine und Materialien rund um das „Jahr der Bildung“ finden Sie im Internet unter www.bildungundreformation.at

Die Fragen stellte Martina Schomaker.

Foto: epdÖ/M. Uschmann

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