Karl Schiefermair: Die Botschaft situationsgerecht immer neu buchstabieren
Ein Abend im Zeichen der Bildung für den scheidenden Oberkirchenrat
Wien (epdÖ) Keine Laudationes, sondern Gedanken zur religiösen Bildung hatte sich der scheidende Oberkirchenrat Karl Schiefermair für den Abend gewünscht, der den baldigen Ruhestand „festlich begleiten“ wollte. Bischof Michael Chalupka und Oberkirchenrätin Ingrid Bachler hatten dazu zahlreiche Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter am Mittwochabend, 22. Juni, in die Evangelische Schule am Karlsplatz in Wien eingeladen.
Schiefermair, der Ende August in den Ruhestand tritt, verantwortet als geistlicher Oberkirchenrat seit seiner Wahl im Oktober 2007 in der evangelischen Kirchenleitung vor allem die Bereiche Bildung, Religionsunterricht und Diakonie. In zwei Gesprächsrunden, die KPH-Vizerektor Thomas Krobath und KPH-Institutsleiterin Dagmar Lagger moderierten, kreisten die Themen um Bildungsschwerpunkte, Gerechtigkeit und Inklusion, aber auch um die Herausforderungen angesichts des Klimawandels, der in der Evangelischen Kirche im „Jahr der Schöpfung“ heuer besonders im Blickpunkt steht.
Das Bilderalbum vom Abend für Karl Schiefermair finden Sie hier.
Religionen hätten eine „große motivatorische Kraft“, um als einzelne*r Verantwortung zu übernehmen, meinte dazu etwa Fachinspektor Peter Pröglhöf. Es gelte, kleine Schritte zu wagen, die den Menschen nicht überfordern, sondern vermitteln, dass das Engagement für den Klimaschutz Freude und Lebensqualität bringe. Dies gelinge am besten gemeinsam – „Kirchen sind solche Gemeinschaften“.
Einfach mal manche Dinge lassen, einfach mal hinsetzen wie Greta Thunberg, statt sich permanent dem Optimierungs- und Perfektionierungsdruck zu unterwerfen, riet der Bildungswissenschaftler Henning Schluss. „Dieses Hinsetzen von Greta hat mehr verändert als viele Klimakonferenzen.“
„Das Wissen um die Unendlichkeit ist verloren gegangen“, bemerkte der Generalsekretär der römisch-katholischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, „wir tun so, als wären unsere Ressourcen unendlich“. Der Umgang mit dem Endlichen sei eine „Schuldgeschichte“, die Kirchen verbinde der ökumenische Auftrag, daraus wieder eine „Heilsgeschichte“ zu machen. Gleichzeitig sei es auch eine religiöse Aufgabe und Chance, „das Wissen vom unendlich liebevollen, gerechten Gott deutlich zu machen“.
Wie wichtig es sei, „Eltern mit ins Boot zu holen“, unterstrich Dagmar Petrovic, die die Bereiche Kindergarten und Hort in der Diakonie leitet. In der Elementarpädagogik habe die Kirche die Chance, Familien mit jungen Menschen auf gemeinsamen Wegen zu begegnen und „hier auch zu zeigen, was wir leisten. Wir holen junge Menschen ab und unterstützen sie bei der Entwicklung mit dem, was sie brauchen“.
„Im großen Programm der Welt nimmt Bildung eine Schlüsselfunktion ein“, zeigte sich Thomas Krobath überzeugt. Bildung könne gleichsam als Schlüssel den Zugang zur Religion ermöglichen, erklärte Peter Pröglhöf. Gleichzeitig habe sie jedoch auch Aufgabe, „Religionen und ihre Vertreter in Schranken zu weisen, wo sie Menschenrechte missachten“.
Dass Religion oft mit Vorbehalten konfrontiert sei, weil eigentlich Dogmatismus abgelehnt werde, beobachtet Henning Schluss. „Religion und Dogmatismus stehen aber kritisch zueinander“, so der Bildungswissenschaftler, auch darauf müsse sich evangelische Bildungsarbeit einlassen.
Die Verbindung von Gerechtigkeit und Bildung sei immer auch Karl Schiefermair wichtig gewesen, erinnerte die steirische Fachinspektorin Sabine Schönwetter-Cebrat, letztlich gehe es darum „allen Kindern und Jugendlichen gerechte Chancen zu ermöglichen, um zu Bildung zu gelangen“. Der evangelische Religionsunterricht sei „in großen Teilen bereits inklusiver Unterricht“, kann die Fachinspektorin aus ihrer Arbeit berichten.
Unisono wurde der Wert inklusiver Bildung bei dem Abend hervorgehoben. „Eine Schule ohne Kinder mit Beeinträchtigung ist keine normale Schule. Es ist normal, dass Kinder unterschiedlich sind“, zitierte Hubert Stotter aus den Leitlinien der Diakonie. Trotzdem gebe es noch gesetzliche Rahmenbedingungen, die Inklusion erschwerten. Der Präsident der Diakonie Österreich und Rektor der Diakonie de la Tour in Kärnten wünscht sich für die Zukunft, dass verstärkt „finanzielle und soziale Barrieren“ wegfallen. Tim Lainer, Geschäftsführer der Diakonie Eine Welt, berichtete vom Solidaritätsfonds, der auch Kindern und Jugendlichen die Teilhabe ermöglicht, wenn das für die Finanzierung des Schulbetriebs notwendige Schulgeld nicht leistbar ist. Trotzdem bleibe hier ein „schwieriger Spagat“. Aktuell habe die Diakonie Bildung etwa in ihren Schulen rund 60 Kinder aufgenommen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.
Ingrid Allesch, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke, erinnerte daran, dass es erfreulicherweise inzwischen „normal ist, dass in jeder Klasse beeinträchtigte Schüler teilhaben können“. Für Erwachsene fehlten jedoch Bildungsmöglichkeiten. Das Evangelische Bildungswerk in Salzburg versuche hier gezielt Angebote zu stellen, die auch stark nachgefragt sind. Schreibwerkstätten oder PC-Kurse seien jedoch nicht nur kostenintensiv, es brauche auch „Lehrkräfte mit großer Herzensbildung“.
Die Innovationskraft kirchlicher Bildungsträger strich Dagmar Lagger heraus, die an der KPH Wien das Institut Ausbildung leitet: „Private Schulträger schaffen Erprobungsräume für Modelle, die später in den Normalbetrieb übernommen werden.“
Dass an dem Abend Vertreter*innen von 25 verschiedenen Institutionen teilnahmen, zeige, dass Karl Schiefermair „neue Räume eröffnet und bestehende erweitert“ habe, sagte die Referentin für Schul- und Bildungsfragen im Oberkirchenrat, Anne-Kathrin Wenk.
„Meine Aufgabe war oft, diese unterschiedlichen Räume zu verbinden“, blickte Karl Schiefermair in seinen Dankesworten zurück. In seiner gesamten beruflichen Tätigkeit sei es immer darum gegangen, „die Botschaft des Evangeliums und der Reformation situationsgerecht und alltagsrelevant immer neu zu buchstabieren“. Dazu sei der Religionsunterricht „eine super Schule“. Seinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern riet der scheidende Oberkirchenrat, sich nicht so sehr von „den kurzfristigen Agenden des Posteingangs“ bestimmen zu lassen, denn im „rasant beschleunigten Alltag bleibt für die wirklich wichtigen Fragen zu wenig Zeit“.
Zum Schluss hieß es noch „Extrablatt“: Der Wiener Fachinspektor und Chefredakteur der religionspädagogischen Zeitschrift „Das Wort“, Lars Amann, verteilte eine Sondernummer, die Karl Schiefermair gewidmet ist.