"Jeder einzelne Kontakt hat seine Bedeutung"

Statistische Trends wahrnehmen - Bericht des Superintendenten zum Jahr 2014

 
von Martina Schomaker
Superintendent Mag. Hansjörg Lein hält seinen Bericht zum Jahr 2014.
Superintendent Mag. Hansjörg Lein hält seinen Bericht zum Jahr 2014.

Hier lesen Sie den Bericht des Superintendenten, den er auf der Superintendentialversammlung am 25. April 2015 im Evangelischen Gymnasium Simmering gehalten hat.

Werte Delegierte der Wiener Superintendentialversammlung,

liebe Schwestern und Brüder in Christus !

In diesen Tagen und Wochen gedenken wir intensiv vieler Toter: da sind die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer, da sind die ermordeten armenischen Kinder und Erwachsenen des Völkermords vor 100 Jahren, und da sind die Opfer des 2.Weltkrieges, dessen Ende vor 70 Jahren heuer besonders in Erinnerung gerufen wird.

Wir als Protestanten gedenken speziell eines Christen und evangelischen Theologen, der am 9.April 1945 gemeinsam mit anderen Widerstandskämpfern hingerichtet wurde: Dietrich Bonhoeffer. Wenige Tage vor Kriegsende – am 5.April - hatte Adolf Hitler persönlich die Ermordung dieses bedeutenden Kirchenmanns angeordnet. Welches Schicksal, dass er selbst dann am 30.April Selbstmord begangen hat ! So ist der Monat April diesmal höchst verdichtet durch all diese Gedächtnisse.

            Ich möchte gerne ein berühmtes Zitat von Dietrich Bonhoeffer an den Beginn stellen:  „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.

Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst,

sondern allein auf ihn verlassen.

In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,

und dass er Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,

als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist,  sondern dass er auf

aufrichtige Gebete und verantwortungsvolle Taten wartet und antwortet.“

Ja, damit hat er eine alte benediktinische Regel aufgegriffen:

             ORA ET LABORA !    BETE UND ARBEITE !

Für mich ist das kein Gegensatz zur evangelischen Rechtfertigungslehre,

vielmehr Ausdruck einer tiefen Spiritualität und Verantwortungsethik.

Die Herausforderungen, denen wir uns als Evangelische Kirche in der Großstadt Wien  gegenüber sehen, sind nicht gering. Jede Pfarrgemeinde, jeder seelsorgerliche Spezialbereich, jedes Arbeitsgebiet, ja jede und jeder einzelne von uns bemüht sich ja mit allen Kräften und gibt ihr bzw. sein Bestes.  Am Beispiel der Lebensbewegungen, der sogenannten Kasualien oder Amtshandlungen sieht man allerdings, wie unterschiedlich die Situationen innerhalb Wiens sein können:

Getaufte: im Jahr 2014 insgesamt 474, die kleinste Zahl:5, die größte: 41.

Konfirmierte: 357 , mit einer Bandbreite von 0 bis 36.

In unsere Kirche Eingetretene:  145, in einer Gemeinde leider niemand, am meisten waren es 14.

Die größte verzeichnete Gruppe sind die Ausgetretenen: 980! Hier waren es zwischen 9 und der traurigen Spitze von 104.

Bemerkenswert ist, dass mittlerweile alle anderen Diözesen hohe Zunahmen an Austritten zu bedauern haben. In Wien war es im vergangenen Jahr die geringste Steigerung , nämlich plus 2,4 Prozent. In zwei Diözesen war sie sogar zweistellig.

Letztlich sind wir ebenso wie die Römisch Katholische Kirche mit einem massiven Mitgliederschwund konfrontiert, und dies in ganz Europa. Hier gegenzusteuern erscheint in unserer Gesellschaft äußerst schwierig, wenn es auch da und dort in bescheidenen Ansätzen zu gelingen scheint.

Bei der Zahl der kirchlich Bestatteten fällt auf, dass immer weniger Hinterbliebene eine Abschiedsfeier mit geistlichem Beistand wünschen: gegenüber den 472 kirchlich Bestatteten weist die Statistik die Zahl von 643 gemeldeten Todesfällen von Evangelischen auf. Gründe dafür müssen erst evaluiert werden, bevor wir vorschnelle Schlüsse daraus ziehen.

Die im Amtsblatt veröffentlichte Mitgliederzahl für Wien lautet 53.375, das sind um 1,77 Prozent weniger als im Jahr davor. Hier ist jedoch mit einer gewissen Ungenauigkeit zu rechnen, da bei den Weg- und Zuzügen  in unseren Gemeinden weder bezüglich Inland noch Ausland Exaktheit zu erreichen ist.

Grundsätzlich bin ich gegen eine Überbewertung von statistischem Material für die konkrete Seelsorge an den Menschen. Denn jeder einzelne  Kontakt – und sei es nur 5 Minuten im öffentlichen Raum oder 3 Minuten am Telefon – hat seine Bedeutung und scheint nirgendwo statistisch auf!

Selbstverständlich sollen Trends und Entwicklungen im Lauf der Jahre wahrgenommen, analysiert und interpretiert werden. So können wir soziologische Veränderungen beobachten, und Konsequenzen ziehen.

Für unsere interne Kommunikation nutzen wir viele Möglichkeiten der Begegnung, des Austausches, der Behandlung von Anliegen und Themen, sowie der Fortbildung. Dazu gehören die Konferenzen und Tagungen von PfarrerInnen, KuratorInnen, ReligionslehrerInnen, LektorInnen, SekretärInnen, der Haupt- und Ehrenamtlichen in der Krankenhaus- und Geriatrieseelsorge. Darüberhinaus haben wir eine Fülle von Ausschüssen und Gremien, die für unsere demokratisch geordnete Kirche wichtig sind.

Zu beobachten ist allerdings, dass es für bestimmte Aufgaben immer schwieriger wird, geeignete Mitarbeitende zu finden, die auch über genügend Zeitressourcen verfügen. Mit großer Wertschätzung danke ich allen, die in unserer Superintendentialgemeinde auf irgendeine Weise mitarbeiten, zum größten Teil schon seit vielen Jahren!

Das Ansprechen und Gewinnen von neuen Ehrenamtlichen ist für das  zukünftige Leben unserer Kirche von entscheidender Bedeutung.

Highlights und Jubiläen im Jahr 2014

-  100 Jahre Stadtdiakonie Wien

-  40 Jahre Johanniter Unfallhilfe

-  10 Jahre Ökumenisches Sozialwort

-  10 Jahre Lange Nacht der Kirchen

-  10 Jahre Döblinger Chörefest

-  GAV-Fest und Kirchentag in Liesing

-  Evangelischer Frühlingsball

-  Herbstfest im Garten Hamburgerstr.3

-  Gefängnislauf in Floridsdorf

-  Evangelische Woche im September

-  Amtseinführung der neuen Diözesankantorin

-  Fernsehgottesdienst von „Brot für die Welt“, Lutherkirche Währing.

-  Friedenstag für SchülerInnen: Motto „Eine andere Welt ist möglich“.

Als Kirche sind wir füreinander da, sind wir mit anderen und für andere da.  Dabei ist das bewusste Wahrnehmen der Menschen und das Erspüren ihrer Bedürfnisse unerlässlich.

„Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein,  damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“     (Bischof Klaus Hemmerle)

Superintendent Mag. Hansjörg Lein,

Wien-Simmering, 25.4.2015

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