Führe uns nicht in Versuchung
Julia Schnizlein über den „unangenehmen Versuch, uns vom rechten Weg und von unseren Zielen abzubringen“
In wenigen Tagen endet der Fastenmonat Ramadan. Mehr als eine Milliarde Muslime in aller Welt haben in den vergangenen Wochen von morgens bis abends weder gegessen noch getrunken und ich muss sagen: ich bewundere sie sehr für ihre Konsequenz, der Versuchung zu widerstehen.
Versuchungen sind unangenehm. Sie sind der Versuch, uns vom rechten Weg, von unseren Zielen abzubringen. Und sie sind zutiefst menschlich. Bereits kurz nach der Schöpfung wurde der Mensch mit der ersten Versuchung konfrontiert: Mit den verbotenen Früchten vom Baum der Erkenntnis. Gott selbst hatte diesen Baum gepflanzt und Adam und Eva die Freiheit gelassen, zu entscheiden, was sie mit dieser Versuchung tun. Wir wissen, wie sie sich entschieden haben und seither müssen wir Menschen mit der Erkenntnis leben, dass wir angesichts unseres Appetits auf Mehr oft zu den falschen Früchten greifen.
Auch Gottes Sohn kannte Versuchungen, aber Jesus widerstand ihnen damals in der Wüste. Aber in jenem Gebet, das er uns hinterlassen hat, dem „Vater Unser“, betete er: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Schon vielfach wurde darüber diskutiert, ob es wirklich Gott ist, der uns in Versuchung führt. Papst Franziskus hatte vor einigen Jahren angeregt, diese Passage des „Vater Unsers“ umzuändern in: „Überlass uns nicht der Versuchung“. Manche beten auch „führe uns in der Versuchung“ oder „führe uns an der Versuchung vorbei“.
Der Wunsch nach einem Leben ohne Versuchungen ist nachvollziehbar. Denn Versuchungen erschweren das Leben, sie zwingen uns, Entscheidungen zu treffen – und wer die Wahl hat, hat ja bekanntlich die Qual. Versuchungen zeigen uns Alternativen zum eingeschlagenen Weg auf. Sie kommen immer verführerisch daher und der beste Weg, einer Versuchung zu widerstehen, ist wohl, gar nicht erst mit ihr in Kontakt zu kommen.
Aber Gott will nicht, dass wir unter einer Glasglocke leben, er behandelt uns weder wie Marionetten noch will er, dass wir keine Wahl haben. Manchmal mutet uns Gott die Versuchung zu, um unsere Selbstgewissheit zu erschüttern, um uns Alternativen aufzuzeigen oder unsere Bequemlichkeit zu stören.
Und selbst wenn er uns in Versuchung führt, so FÜHRT er uns immer noch. Er lässt uns nicht los. Er bleibt unser Hirte, selbst in der Versuchung.