Frühlingsgefühle
Julia Schnizlein über das Zwitschern der Vögel
Sehnen Sie sich auch so sehr nach Freiheit und Leben und Fülle? Gerade jetzt im Frühling, wenn sogar mitten in der Stadt das Zwitschern der Vögel nicht mehr zu überhören ist, wenn uns die Sonne ins Gesicht scheint und die Natur in ihrer Blüte steht? Wenn wir die duftende Erde riechen und das keimende Gras spüren – dann melden sich unweigerlich Frühlingsgefühle. Und damit auch Freiheitsgefühle. Das war schon immer so. Seit Jahrtausenden schenkt der Frühling Menschen immer wieder Kraft und Hoffnung und Freude – allen äußeren Umständen zum Trotz.
Es rührt mich an, wenn ich in der Bibel im sogenannten Hohelied Salomos Jahrtausende alte Worte lese: „Mach schnell, mein Liebes! Komm heraus, geh mit! Der Winter ist vorbei mit seinem Regen. Es grünt und blüht, soweit das Auge reicht. Im ganzen Land hört man die Vögel singen, nun ist die Zeit der Lieder wieder da!“
Viele Frühlingslieder wurden zu echten Volksschlagern, so wie das berühmte „Komm, lieber Mai und mache die Bäume wieder grün…“ von Christian A. Overbeck aus dem 18. Jahrhundert. Ein wenig später schwärmte Eduard Mörike vom blauen Band des Frühlings. „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte; Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land…“. Generationen von Schülerinnen und Schülern haben seine Worte auswendig gelernt – Sie vielleicht auch?
Rosa Luxemburg, die berühmteste Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung, konnte das Nahen des Frühlings und mit ihm das Zwitschern der Kohlmeisen sogar in der Gefangenschaft hören und schrieb dort: „Zwi-Zwi… Das ist die erste leise Regung des kommenden Frühlings…. Trotz Schnee und Frost und Einsamkeit glauben wir – die Kohlmeisen und ich – an den kommenden Frühling! Und wenn ich den vor Ungeduld nicht erleben sollte, dann vergessen Sie nicht, dass auf meiner Grabestafel nichts stehen darf außer „Zwi-zwi“.
Das Zwitschern der Vögel lässt hoffen, dass es tatsächlich Frühling wird. Dass er sich in unserem Leben einnistet und es wieder bunt und hell und fröhlich wird, allen äußeren Umständen zum Trotz. Dass sich Freiheit auftut und Neuanfänge möglich sind. Dass Gott eingreift. Immer und immer wieder – so wie es die Menschen vor uns erleben durften und nach uns erleben werden.
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