Evangelisch-theologische Fakultät feierte 200jähriges Bestehen
Dekan Engemann: „Arbeiten an der Theologie der Zukunft“ – Bischof Chalupka: Kirche und Theologie müssen sich hinterfragen lassen
Wien (epdÖ) – Vier Tage lang hat die Evangelisch-theologische Fakultät der Universität Wien ihren 200. Geburtstag gefeiert. Von 7. bis 10. Oktober sind Menschen aus Wissenschaft, Kirchen, Politik und Gesellschaft zusammengekommen, um sich über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Theologie im Allgemeinen und der Wiener Fakultät im Besonderen auszutauschen. Eröffnet wurden die Feierlichkeiten am Donnerstag, 7. Oktober, mit einem Festakt im Großen Festsaal der Wiener Universität. Dekan Wilfried Engemann sprach dort von einer „Erfolgsbilanz“ der Fakultät, an der „alle akademischen Register gezogen“ würden. „Theologie made in Vienna“ genieße auch international hohes Ansehen, viele Klassiker der Lehrbuchliteratur hätten von Wien aus ihren Weg genommen. Anders als in den Anfangszeiten hätten sich die Katholisch-theologische Fakultät und die Evangelisch-theologische Fakultät „mit Gewinn einander angenähert, viele Kapitel werden gemeinsam aufgeschlagen“, heute könne man sich „der Belastbarkeit der gegenseitig gelehrten Solidarität“ vergewissern.
Die Glückwünsche der Universität überbrachte Vizerektorin Christa Schnabel. Sie gratulierte zur „beeindruckenden Wegstrecke“, die die ursprüngliche Lehranstalt genommen habe. Schnabel zeigte sich stolz, dass die Evangelisch-theologische Fakultät Teil der Universität ist, denn theologische Forschung in verschiedenen Religionen sei Teil der universitären Aufgabe in einem säkularen, liberalen Rechtsstaat. Auch für die Zukunft sei es wichtig, Studierende theologisch gut ausbilden zu können. Beide theologische Fakultäten, die nicht mit hohen Studierendenzahlen wie andere Fakultäten konfrontiert seien, böten dafür ideale Rahmenbedingungen, um das „Profil der Theologie weiterzuentwickeln“ und die Relevanz der Theologie zu buchstabieren.
Kirchenhistoriker Leeb: “Die Gegenwart ist theologiebedürftig”
Der Wiener Kirchenhistoriker Rudolf Leeb ging in seinem Eröffnungsvortrag auf die 200jährige Geschichte der Evangelisch-theologischen Fakultät ein. Die „verheißungsvollen Ansätze“ etwa der evangelischen Landschaftsschulen, die während der Reformation entstanden sind, gingen in der Gegenreformation unter. Erst das Toleranzpatent 1781 ermöglichte wieder Ausbildungsstätten für den Pfarrernachwuchs, auch wenn eine Fakultät im Sinne universitätsähnlicher Ausbildungen damals noch fehlte. Als im Metternich-Staat die Kontrolle über die Studentenschaft forciert wurde, kam es am 2. Februar 1821 zur Eröffnung der protestantisch-theologischen Lehranstalt als eigener Hochschule, denn „Teil der staatlichen Universität zu werden war damals im katholisch dominierten Österreich schlicht nicht möglich“. Diese Lehranstalt war als Ausbildungsstätte für die gesamte Habsburger-Monarchie gedacht, „öffentlich deklarierte Kaisertreue“ war, so Leeb, wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Professoren.
Einen Umbruch brachte die Revolution 1848 durch Lehr- und Lernfreiheit und Selbstverwaltung durch akademische Organe. Die ursprüngliche Lehranstalt wurde in eine Fakultät umgewandelt, aber nicht in die Universität integriert. Dieser Schritt erfolgte erst 1922. Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Fakultät nun das wissenschaftliche Niveau deutscher Fakultäten erreichte, wurde sie immer stärker in den Nationalitätenkonflikt hineingezogen, bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs der Lehrbetrieb geschlossen werden musste. Die meisten Studenten hatten sich als Kriegsfreiwillige gemeldet, ein Fünftel war gefallen.
Der Zerfall der Donaumonarchie hatte einschneidende Folgen für die Wiener Fakultät mit ihrem nunmehrigen Schwerpunkt für die volksdeutsche Diaspora, während in Prag und Pressburg eigene Fakultäten entstanden. Seit 1928 konnten dann auch erstmals Frauen an der Evangelisch-theologischen Fakultät studieren.
Die weitere Entwicklung war zunehmend von den politischen Rahmenbedingungen bestimmt, schilderte Leeb. Im katholisch geprägten Ständestaat habe sich innerhalb des österreichischen Protestantismus der Anschlussgedanke verstärkt. Nach dem „Anschluss“ 1938, der an der Fakultät „euphorisch begrüßt“ wurde, erfolgten die Besetzungen der Professoren ausschließlich mit „neuen und eingesessenen Nationalsozialisten“.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete einen Neuanfang, verstärkt wurden österreichische Theologen an die Fakultät berufen, die „starke Verkirchlichung war theologische Konsequenz aus der Zeit des Nationalsozialismus“. Eine Annäherung an das wissenschaftliche Niveau deutscher Fakultäten erfolgte „in breiter Front erst ab den 70er-Jahren“. Leeb erinnerte hier unter anderen an die Professoren Wilhelm Dantine und Kurt Lüthi mit ihren Ansätzen einer Öffentlichen Theologie.
Die stetig steigende Internationalisierung und Objektivierung der Berufungsverfahren führten letztlich auch zu einer stärkeren Einbindung der Fakultät in die Universität, die Fakultät habe dies „durch persönliche Leistung und strategische Überlegungen hervorragend genutzt“, bilanzierte der Kirchenhistoriker. Das neue Verhältnis zur katholischen Fakultät habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeprägt und zeichne sich heute durch „Zusammenarbeit und Freundschaft aus, die vorher so nicht denkbar war“. „Die Gegenwart ist theologiebedürftig, die Fakultäten sind dafür gerüstet und so gut aufgestellt wie nie zuvor“, schloss Leeb.
Chalupka: Theologie als “Fenster”
Beim Abschlussgottesdienst der Festtage am Sonntag, 10. Oktober, in der Wiener lutherischen Stadtkirche würdigte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka die Theologie als “Fenster” zu anderen Wissenschaften, zur weltweiten Theologie und zur Gesellschaft. Er erinnerte aber auch kritisch an die Rolle der Theologie im Ersten Weltkrieg und unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Hier seien Kirche und universitäre Theologie “schuldig geworden” und hätten “ihre Existenzberechtigung verspielt”. Ihrer wahren Aufgabe würden sie aber dort gerecht, wo sie auch Selbstzweifel zuließen: “In Geschichte und Gegenwart standen und stehen Kirche und Theologie vor der Wahl, entweder vom Thron herab, ex cathedra beurteilend und verurteilend, zu zentralen Fragen des Lebens zu reden, in der Gewissheit, sich nicht anfragen lassen zu müssen – oder aber im Haus der Weisheit einzukehren und sich an den Tisch zu setzen. In Resonanz zu gehen mit der Alltagswirklichkeit der Welt.”
Mit der Geschichte der Evangelisch-theologischen Fakultät in der NS-Ära befasst sich ein neues Buch des Kirchenhistorikers und Kirchenrechtlers Karl W. Schwarz. Hier geht es zum Buch.