Erntedank im Zeichen der Klimakrise
Expert*innen diskutierten im Albert-Schweitzer-Haus über die Ausbeutung des Bodens
Wien (epdÖ) – Unter dem Titel „Erntedank – wie lange noch?“ diskutierten am 14. September im Albert-Schweitzer-Haus in Wien vier Expert*innen über die Probleme bei der Nutzung des Bodens als natürliche Ressource. Die Evangelische Umweltbeauftragung Wien hatte gemeinsam mit dem ASH Forum zu der Podiumsdiskussion im “Jahr der Schöpfung” eingeladen.
„Das Buch Genesis, das erste grundlegende Buch der Bibel, führt aus, worum unser Denken und Fragen zentral kreist“, erinnerte der Wiener Superintendent Matthias Geist in seinen einleitenden Worten an die Lebensgrundlagen zur Schöpfung. Wesentliche Fragen dabei seien: „Wofür ist eigentlich Dank zu sagen? Wer sät und wer erntet noch?“
Benedikt Haerlin, Journalist und Gründer der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, unterstrich die Bedeutung des Bodens als Lebensgrundlage unzähliger Organismen und warnte vor Monokulturen sowie vor einer Bodennutzung zur Energie- und Treibstoffgewinnung. „Wir brauchen den Boden als Erhalter der Diversität“, sagte Haerlin.
„Der Boden ist wie ein ökogenetisches Gedächtnis der Evolution. Wir sollten den Boden auch als Lexikon, als Geschichtswerk hoch einschätzen.“ Es gebe jedoch einen „sprunghaften Anstieg chemischer Intervention mit massiver Auswirkung auf die Bodenfruchtbarkeit“, so Haerlin, der die modernen landwirtschaftlichen Praktiken kritisch betrachtete.
Starker Rückgang kleinerer Landwirtschaften
„Besonders im Feingemüseanbau hat sich die Bewirtschaftung weit vom Boden entfernt, in modernen Betrieben gibt es kaum mehr Boden“, berichtete Cordula Fötsch, Agrarwissenschaftlerin, Gemeinschaftsgärtnerin und Aktivistin bei „sezonieri. Fötsch sah den starken Rückgang der Kleinbäuerinnen und -bauern problematisch. So habe sich die Zahl der Bauernhöfe in den letzten 70 Jahren um zwei Drittel reduziert, wohingegen sich die Fläche der einzelnen Höfe mehr als verdoppelt habe.
Für Anna Zollitsch, Sozialarbeiterin und aktuell “Schöpfungsbotschafterin” der Evangelischen Kirche, spielt der erkennbare Bezug der Ernährung zur Natur eine große Rolle, um Dankbarkeit zu empfinden. Kochen sei eine gute Möglichkeit, diesen Bezug herzustellen. „Es ermöglicht ein Bewusstsein, wo wir das Essen herbekommen“, ist Zollitsch überzeugt.
„Wir sind Naturwesen, die Kultur schaffen, wir sind als Menschen ein Teil der Schöpfung“, sagte die evangelische Pfarrerin und theologische Referentin des Bischofs, Eva Harasta. Sie erinnerte an die in der Bibel beschriebenen Bedingungen, in denen der „Mensch der Natur ausgeliefert“ gewesen sei. Mittlerweile hätte die Menschheit einen „tiefen Veränderungsprozess“ erlebt, der bis hin zur Klimakrise geführt habe. Der globale Norden habe die Klimakrise hervorgerufen, bezahlen müsse aber der globale Süden. Wichtig sei der Beitrag jedes einzelnen Menschen, auch wenn dieser für sich genommen gering sei. „Jeder Mensch und auch kleinere Institutionen können einen Beitrag leisten. Das kann etwas bewirken, und das ist ein ur-evangelischer Gedanke“, erklärte Harasta und nannte die Evangelische Kirche als Beispiel, die einen Reduktionspfad und Klimaneutralität bis 2040 verfolgt. Wichtig sei es, mit seinem Einsatz für Schöpfungsverantwortung nicht allein zu bleiben, sondern miteinander zu arbeiten, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, so Harasta.
Ohnmacht in Macht umwandeln
Es gelte schließlich, „die Ohnmacht in Macht umwandeln, zum Wohle des Lebens und zur Erhaltung der Schöpfung“, sagte die Wiener Umweltbeauftragte Andrea Kampelmühler, die auch die Diskussion moderierte. Um Veränderung zu erreichen, müssten Kräfte gebündelt werden. Haerlin unterstrich daraufhin die Rolle der Kund*innen und den Einfluss der Ernährungsgewohnheiten auf den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Dazu gehöre etwa das Überdenken des Fleischkonsums oder die bewusste Kaufentscheidung im Supermarkt.
Fötsch betonte das politische Engagement als Veränderungspotential. Dabei nannte sie die Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft, wobei auch Erntearbeiter*innen und Konsument*innen gemeinsam etwas bewirken könnten. Wichtig wie der Gebrauch des Wahlrechts sei der Einsatz auf „allen Ebenen“, etwa auch auf Bürgermeisterebene, meinte Harasta. Politisch zu sein und wählen zu gehen, könne durchaus etwas bewirken, stimmte Zollitsch zu. Allerdings müsse man auch „früher ansetzen“, sagte die Schöpfungsbotschafterin und hob die Rolle der Bildung hervor. „Damit kann man den jungen Menschen in der Schule vermitteln: So weit kann ich wirken“, so Zollitsch.