Chalupka und Kallinger betonen demokratiestärkenden Wert des Religionsunterrichts
Gastkommentar im „Standard“ – Religionsunterricht trägt zu „Bildung einer respektvollen, toleranten und verantwortungsbewussten Gemeinschaft“ bei
Wien (epdÖ) – Es könne „gefährlich“ sein, den Religionsunterricht außerhalb der Schule anzusiedeln. Davor warnen der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka und Kim Kallinger, Kirchenrätin für Bildung der Evangelischen Kirche A.u.H.B. sowie stellvertretende Vorsitzende des Hochschulrats der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH), in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung „Der Standard“ vom 16. Juni. Damit nehmen sie Bezug auf die jüngste Forderung des Wiener Vizebürgermeisters Christoph Wiederkehr (Neos), in den Volksschulen das Fach Religion durch ein Pflichtfach Demokratie zu ersetzen.
Das von den Neos angedachte Unterrichtsfach „Leben in einer Demokratie“ verdiene zwar eine Diskussion, denn „Demokratie und Menschenrechte stärker in der Schule zu verankern ist begrüßenswert“, schreiben Chalupka und Kallinger. Das Fach habe jedoch mit religiöser Herkunft und Reflexion im Religionsunterricht wenig zu tun.
„Dass Leben in einer Demokratie gelingt, ist Aufgabe aller Beteiligten und somit auch Aufgabe der Religionsgemeinschaften. Gerade der konfessionelle Religionsunterricht bedingt eine Anerkennung anderer Religionen und bietet ein interreligiöses Lernfeld. Denn nur wer über seine eigene Prägung weiß, kann in Dialog treten“, teilen Chalupka und Kallinger ihre Überzeugung. Der Vorschlag für die Abschaffung des verpflichtenden Religionsunterrichts unterstelle, „dass dort kein Beitrag zum Demokratieverständnis geleistet wird“, und er unterstelle zudem „implizit, dass Menschen ohne Religion automatisch eine demokratischere Gesinnung hätten“.
Im Gegensatz dazu stärke der Religionsunterricht die Demokratie, zwinge die Religionsgemeinschaften jedoch auch, sich einer aufgeklärten Gesellschaft zu erklären. „Wer allerdings religiöse Bildung ins Private zurückdrängen will, trägt zum Obskurantismus und zum Missbrauch von Religion und damit gerade zur Radikalisierung unter dem Deckmantel der Religionen bei“, warnen der Bischof und die Kirchenrätin.
Vor dem Hintergrund der Erosion demokratischer Werte sei es unumgänglich, die Verbindung zwischen Demokratie, Bildung und Religion sichtbar zu machen. „Daher spielt der Religionsunterricht eine wichtige Rolle in der Stärkung der Demokratie, indem er Lernenden grundlegende Kompetenzen und Werte vermittelt, die für den Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind“, betonen Chalupka und Kallinger.
Der Religionsunterricht leiste einen grundlegenden Beitrag zur religiös-ethischen Bildungsdimension der Schule. „Die Lernenden erproben ihre Fähigkeit zur Verständigung und Toleranz und üben sich in Solidarität. Der Unterricht bestärkt sie im Sinne der Inklusion, sich und andere anzunehmen“, führen Chalupka und Kallinger in ihrem Gastbeitrag weiter aus.
Der Religionsunterricht sei ein Ausdruck der Religionsfreiheit, denn die Ausübung von Religion im öffentlichen Raum sei auch mit Dialogfähigkeit verknüpft, „um die eigenen Überzeugungen in einer pluralistischen Gesellschaft argumentieren zu können“. Als Pflichtfach nehme er, so Chalupka und Kallinger, die „religiöse und ethische Dimension des umfassenden Bildungsauftrags der Schule wahr und bietet den Schülerinnen und Schülern eine Begegnung mit dem Bildungsauftrag der Gesellschaft in einem gegenseitigen Dialog“.
Die in Österreich gegebene umfassende und praxisnahe pädagogische – „qualitativ hochwertige“ – Ausbildung der Religionslehrkräfte sei „essenziell für die Effektivität und den Erfolg des Unterrichts“. Zudem ermögliche sie die Auseinandersetzung mit theologischen, religionspädagogischen und ethischen Fragestellungen. Damit trage der Religionsunterricht „wesentlich zur Bildung einer respektvollen, toleranten und verantwortungsbewussten Gemeinschaft bei“, resümieren Bischof Chalupka und Kirchenrätin Kallinger.
Pinz: „Verschiedenheit einüben“
Ähnlich äußert sich Andrea Pinz, Leiterin des Schulamts der Erzdiözese Wien, in ihrem ebenfalls am 16. Juni in „Der Standard“ erschienenen Gastkommentar: Den Wertebildungsauftrag ins Zentrum der pädagogischen Bemühungen des Religionsunterrichts zu stellen, sei „in unserer heterogenen Gesellschaft wichtiger denn je“.
Pinz zufolge bestehe darüber Konsens, dass junge Menschen zu mündigen, verantwortlichen Akteuren gebildet werden sollen. Dadurch könne mit aktiver und kritischer Mitgestaltung der Gesellschaft Demokratie ermöglicht werden. „Genau deshalb ist aber das Ansinnen problematisch, den propagierten neuen Unterrichtsgegenstand zulasten des Religionsunterrichts (‚optional‘, ‚Freifach‘) einzuführen – damit würde einem undemokratischen Zugang Schützenhilfe geleistet“, schreibt Pinz. Indem der Staat religiöse Bildung im öffentlichen Raum und nicht bloß im Privaten ermögliche, komme er seiner Aufgabe nach, „Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern reifen zu lassen, die auch ihre Religionsfreiheit angemessen wahrnehmen und ausüben können“.
Schule müsse im Sinne des Wertebildungsauftrags des Schulsystems Kinder und Jugendliche lehren, in Wahrnehmung und Würdigung der Unterschiede „sich mit den eigenen kulturellen und religiösen Prägungen und biografischen Erfahrungen reflexiv und fachkundig begleitet auseinanderzusetzen“, erklärt die Schulamtsleiterin. Eine demokratische Gesellschaft lebe – „auch oder gerade, wenn es um gemeinsame Werte geht“ – vom Zusammenklang unterschiedlicher Zugänge. „Bei einer Bildungspolitik, die ein staatlich verordnetes Schulfach propagiert, das zwar Demokratie und Pluralität lehrt, dabei aber die Pluralität der Zugänge außer Acht lässt oder gar infrage stellt, ist daher Vorsicht angebracht“, so Pinz.
Den Gastkommentar im „Der Standard“ lesen Sie hier.