Ärger um provokante Kampagne „Beten oder Leben retten“
Kommentar von Pfarrerin Julia Schnizlein: "Entweder-oder"-Szenario ist Griff in die Klischee-Schublade und verletzend
„Nein, bitte bitte, nein! Hilf mir. Lass mich nicht allein!“ Hattet ihr schon mal Todesangst um einen anderen Menschen? Ich erinnere mich noch, als meine Tochter nach ihrem ersten Affektkrampf im Alter von 13 Monaten blau und ohne Bewusstsein in meinen Armen lag. Ich konnte die Situation überhaupt nicht einordnen, habe sie geschüttelt, sie angeschrien, ihren Puls gefühlt und ihren Atem erahnt, während mein Mann die Rettung gerufen hat…
Während dieser schrecklichen Minuten habe ich immer wieder zu Gott gerufen. Mal leise, mal laut. Ich hatte mich nicht bewusst dafür entschieden, zu beten. Das Gebet, das Flehen war einfach da. Und ich wusste, ich spüre in dem Moment: Ich bin nicht allein in meiner Hilflosigkeit. Ich muss nicht ins Leere schreien.
Deswegen ärgere ich mich gerade über die aktuelle Kampagne zur Bekämpfung eines plötzlichen Herztods. An sich eine sehr gute Sache (!), aber um Aufmerksamkeit zu erregen, wurde hier so richtig schön tief in die Klischee-Schublade gegriffen. Auf den Plakaten steht zum Beispiel: Fies sein oder Leben retten – im Bild ein Mittelfinger. Beten oder Leben retten – im Bild betende Hände.
Kein normaler Mensch würde sich hinsetzen und erst mal ruhig die Hände falten
Ich finde das so traurig provokant, weil es null mit der Realität zu tun hat. Kein normaler Mensch würde sich hinsetzen und erst mal ruhig die Hände falten, bevor er einem anderen Menschen in Lebensgefahr hilft. Es ist kein „entweder – oder“! Nächstenliebe zwingt uns immer, tätig zu werden. Aber vielen hilft es eben, wenn sie sich nicht alleine fühlen, während sie einen anderen reanimieren. Wenn sie den an ihrer Seite wissen, der Leben und Tod in den Händen hält.
Dieses Sujet einer an sich sehr guten und wichtigen Kampagne halte ich deswegen für eine überflüssige und verletzende Verunglimpfung religiöser Gefühle. Sie zeichnet ein unsinniges Bild von Religion und geht auf Kosten jener Menschen, die der Meinung sind, dass sie nicht alles selbst in der Hand halten. Schade.
Hintergrund:
Der Kommentar von Pfarrerin Julia Schnizlein ist auf Instagram erschienen: Julia Schnizlein ist als „Juliandthechurch“ auf Instagram zu finden:
@juliandthechurch
https://www.instagram.com/juliandthechurch/
Zur Kampagne von „PULS“, einem Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes: https://www.puls.at/