Arbeit im Paradies
Auch die Bibel hat sich das Paradies nicht ohne Arbeit vorgestellt, schreibt Michael Chalupka.
Morgen am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wird es am Ring in Wien wieder gesungen, so schön wie möglich: das Lied der Arbeit, die inoffizielle Hymne der Arbeiterbewegung. Das Lied schlägt einen großen Bogen vom Anbeginn der Welt bis zur Neuzeit, um die Arbeit hochleben zu lassen.
In der zweiten Strophe heißt es über den Menschen: „Als er vertiert, noch scheu und wild durch finstre Wälder kroch. Wer gab dem Arm die erste Wehr? Die Arbeit war’s, noch roh wie er. Die Arbeit hoch!“
Das Lied der Arbeit ist nicht weit entfernt von der Schöpfungsgeschichte und Adam und Eva. Denn auch die Bibel hat sich das Paradies nie ohne Arbeit vorgestellt. Die Arbeit gehört von Anfang an zum Menschsein dazu. Eva und ihrem Adam war es aufgetragen, die Erde zu bewahren und zu bebauen.
Bebauen und bewahren umfasste alle Tätigkeiten von Mann und Frau – sowohl die produktiven Arbeiten am Feld, bei den Tieren oder im Handwerk, als auch die reproduktiven Tätigkeiten im Haushalt, bei der Kindererziehung oder der Pflege. Dass diese Tätigkeiten Männern und Frauen zugeordnet und in bezahlte und unbezahlte Arbeit aufgeteilt wurden, das war erst die Folge des Sündenfalls.
Dass wir, wenn wir oder die Politik am 1. Mai von Arbeit reden, meist nur die bezahlte Arbeit, den Job meinen und die unbezahlte Arbeit bei den Kindern und in der häuslichen Pflege vergessen, zeigt, wie wenig wir dazugelernt haben seit der Vertreibung aus dem Paradies.