Im Zweifel

 
von Evangelischer Pressedienst

Julia Schnizlein über Adler und Hühner

Ich bin oft überrascht, wie viele Menschen an sich selbst zweifeln. Da spreche ich mit einer taffen, erfolgreichen Frau und es fallen Sätze wie: „Dass ich auf dieser Führungsstelle gelandet bin, war doch nur Zufall.“ Ein anderer erklärt, dass er seinen Erfolg nicht verdient habe und die Kollegen sicher bald merken werden, dass er gar nicht so kompetent sei, wie erwartet.

Trotz offensichtlicher Beweise für ihre Fähigkeiten sind Menschen davon überzeugt, sie hätten ihre Erfolge nur erschlichen. Dieses Phänomen hat einen Namen: Das Hochstapler-Syndrom. Dass selbst der größte Physiker aller Zeiten, Albert Einstein, davon nicht verschont war, finde ich irgendwie beruhigend. Er soll kurz vor seinem Tod gesagt haben: „Die übertriebene Anerkennung für mein Lebenswerk macht mich krank; ich fühle mich als unfreiwilliger Schwindler.“

Insofern könnten Selbstzweifel eher FÜR das eigene Können sprechen, nicht dagegen. Traurig ist es aber, wenn Unsicherheit dazu führt, dass man die eigenen Fähigkeiten erst gar nicht ausschöpft. Wenn man nur auf jene hört, die einem nichts zutrauen. Der Jesuitenprediger Anthony de Mello hat dazu eine berührende Geschichte geschrieben:

„Ein Mensch fand ein Adlerei und legte es in das Nest einer gewöhnlichen Henne, die es ausbrütete. Das Adlerküken schlüpfte mit all den andern Hühnerküken aus, wuchs mit ihnen auf und lernte, wie sie zu gackern, in der Erde zu scharren und nach Würmern zu suchen. Ab und zu hob der kleine Adler seine Flügel und flatterte auf einen der unteren Äste der Bäume, ganz wie die anderen Hühner. Er lebte im Bewusstsein, ein Huhn zu sein. Jahre vergingen und der Adler wurde alt und grau. Eines Tages blickte er zum Himmel empor und sah im unendlichen Blau einen herrlichen Vogel schweben, fast ohne mit seinen mächtigen Flügeln zu schlagen. Voll Ehrfurcht fragte er das nächste Huhn: ‚Was ist denn das für ein Vogel?‘ Das Huhn erwiderte: ‚Das ist der Adler, der König der Lüfte. Aber verschwende keinen Gedanken an ihn. Du und ich sind von anderer Art, wir gehören hier auf die Erde.‘ Also schaute der Adler nie mehr nach oben und starb im Glauben, ein Huhn zu sein. So war er von allen behandelt worden, so war er aufgewachsen, so hatte er gelebt.“

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