Moser: Ausbau der Palliativversorgung „könnte an österreichischer Realverfassung scheitern“

 
von Evangelischer Pressedienst

Expert*innen fordern breite Debatte über assistierten Suizid

Wien (epdÖ) – Im Zusammenhang mit dem Ende 2021 auf den Weg gebrachten und seit Jahresbeginn gültigen Sterbeverfügungsgesetz hat sich die Politik dazu bekannt, mehr Mittel für den Ausbau der Palliativversorgung zur Verfügung zu stellen. Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser ist skeptisch, ob das so geschehen wird: Letztlich könne der Ausbau „an der österreichischen Realverfassung scheitern, weil es keine bundesweit einheitlichen Vorgaben gibt, sondern die Länder Konzepte vorlegen und dann Verträge mit dem Bund schließen“, erklärte Moser am Dienstag, 25. Jänner, im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der Reihe „Future Ethics“, die die Diakonie gemeinsam mit der Wiener Zeitung durchführt. Bereits 2015 hätten sich alle Parteien zu einem Ausbau des Palliativangebots bis 2020 bekannt. Erreicht worden seien die Ziele „bestenfalls zur Hälfte“.

Der assistierte Suizid selbst könne für die Diakonie jedenfalls kein „normales“ Angebot im Leistungsspektrum von Betreuungseinrichtungen sein, betonte Moser weiter. Gleichzeitig wolle man über die Möglichkeiten der Sterbeverfügung informieren. Standardverfahren könne es nicht geben, sondern nur individuelle Lösungen für den Einzelfall. „Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: Wenn jemand nicht leben kann hilft es auch nicht weiter ihm zu sagen, du musst leben.“ In der gesamten Debatte um den assistierten Suizid gehe es darum, „das Bewusstsein zu schärfen, dass wir in Dilemmasituationen sind. Bei jeder Entscheidung gibt es einen Pferdefuß. Wir müssen es aushalten, dass es die eine gute, richtige Lösung nicht gibt.“

Strafrechtsexperte Birklbauer: „Eilgesetz“ ersetzt ethischen Diskurs nicht

Die österreichische Regierung habe mit der Art und Weise, wie das Gesetz zur Sterbeverfügung zustande gekommen sei, „eine große Chance vertan“, kritisierte der Strafrechtsexperte Alois Birklbauer von der Johannes Kepler Universität Linz. Nach dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) über die Unzulässigkeit des Verbots von assistierten Suizid im Dezember 2020 „hatte man ein Jahr Zeit, eine Regelung zu beschließen, die von einem breitem Konsens getragen wird, und einen offenen Diskurs zu führen“. Das sei verabsäumt worden. Vielmehr wurde ein „Eilgesetz“ ohne ausreichende Begutachtungsfrist beschlossen. Diese juristische Klärung bringe das Thema jedenfalls nicht vom Tisch: „Wir werden das Problem mit rechtlichen Normen nicht lösen können. Es braucht einen ethischen Konsens in der Gesellschaft“.

Medizinerin Gutiérrez-Lobos: „Müssen wieder lernen, über Tod zu diskutieren“

Einen anderen Diskurs über das Thema forderte auch Karin Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinische Universität Wien: „Die Technologisierung in der Medizin hat dazu geführt, dass wir glauben, fast alles ist möglich. Die Beschäftigung mit dem Tod ist dadurch ein wenig in den Hintergrund getreten. Wir müssen wieder lernen, offen darüber zu diskutieren.“ Untersuchungen zeigten, dass sich Menschen am Lebensende nicht so sehr vor Schmerzen fürchteten, sondern vor Einschränkungen ihrer Selbstkontrolle. Das habe stark mit dem Selbstbild eines Menschen von sich zu tun: „Wie habe ich mich bisher in meinem Leben gesehen? Wie sehe ich mich jetzt? Wie will ich, dass andere mich sehen?“ Beim assistierten Suizid sei es wichtig, Menschen mit ihren Fragen nicht alleine zu lassen. Gleichzeitig unterstreicht Gutiérrez-Lobos aber auch die emotionale Herausforderung, vor die Menschen, die andere beim Sterben begleiten, gestellt sind. Und sie warnt davor, sich in der Diskussion vorschnell auf eine Position festzulegen: „Es ist schwer aus der Situation der Nichtbetroffenheit ein Werturteil zu fällen.“

Die Podiumsdiskussion fand im Wiener Albert Schweitzer Haus statt, das Publikum war über Livestream zugeschaltet. Das Gespräch moderierte Petra Tempfer, Redakteurin der Wiener Zeitung. Worte zur Begrüßung kamen von Michael Bünker, emeritierter Bischof der Evangelischen Kirche A.B. und Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie, sowie von Martin Fleischhacker, Geschäftsführer der Wiener Zeitung.

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