„Ich steh an deiner Krippen hier …“
Krippen: Die Weihnachtsbotschaft zum Angreifen
Weihnachtskrippen haben auf den ersten Blick mit Reisen nicht viel zu tun. Bestenfalls wandern sie einmal im Jahr aus dem verstaubten Keller ins Wohnzimmer – und zwei, drei Wochen später wieder zurück. Ganz anders im oberösterreichischen Hallstatt. In das idyllische Städtchen im Salzkammergut hat der evangelische Pfarrer Dankfried Kirsch die Tradition der „Kripperlroas“ importiert. Nicht aus Ostfriesland, woher er ursprünglich stammt, sondern aus der weniger weit entfernten Gegend um Bad Ischl, wo er zwei Jahrzehnte lang Pfarrer war.
Üblicherweise machen sich die Menschen von Weihnachten bis Lichtmess am 2. Februar auf, besuchen einander und zeigen ihre besonderen, oft über 100 Jahre alten Krippen. Als die Corona-Krise letztes Jahr viele Reisepläne platzen ließ, drohte auch der Hallstätter Kripperlroas das Storno.
Aber man reagierte schnell: „Wir haben eine virtuelle Kripperlroas gemacht und die Menschen gebeten, uns Bilder ihrer Krippen zu schicken, die wir dann online gestellt haben“, erzählt Kirsch. Der Erfolg hat die Hallstätter sehr überrascht. Angelika Sachsenhofer, Mitarbeiterin im Pfarramt, hat die Kripperlroas begleitet und umgesetzt. Sie erinnert sich: „Wir haben über 100 Zusendungen bekommen, die Menschen waren ganz begeistert.“ Das liege wohl daran, dass sie etwas von sich herzeigen können, „viele Krippen sind ja schon seit Generationen in den Familien. Mit diesen Bildern können sie anderen eine Freude bereiten.“ Die Kripperlroas ist jedenfalls weit mehr als Weihnachtskitsch: Denn was als katholischer Brauch begonnen hat, zeigt durchaus (geheim-)protestantische Anklänge, so Kirsch: „Gott kommt im Verborgenen, in einer Krippe, die in der Höhle verortet wird. Hier findet sich das wahre Evangelium, das zu den Menschen kommt.“ Hier breche sich der Protestantismus in katholischer Umwelt wieder Bahn. Und die Kripperlroas finde große ökumenische Zustimmung.
Wie die Krippe evangelisch wurde
Wer in den Geschichtsbüchern blättert, wird aber sehen: Selbstverständlich ist diese konfessionsübergreifende Krippenfreude nicht. Warum? Die Antwort darauf liegt in München, tief unter dem Bayerischen Nationalmuseum. Hier findet sich ein verborgenes Reich, das sich Außenstehenden nur für drei Monate im Jahr öffnet. Thomas Schindler ist der Herr über diese viele Säle umfassende Weihnachtswelt. Interessierte führt der Volkskundler vor allem im Winter durch die Ausstellung, in der Krippen aus Italien, dem Alpenraum und der ganzen Welt zu sehen sind. Dass diese Sammlung ausgerechnet im tief katholischen Bayern beheimatet ist, ist kein Zufall. Denn es ist erst wenig mehr als hundert Jahre her, dass Krippen „evangelisch“ wurden: „Heute stellen sich alle Menschen gerne Krippen auf. Um 1900 hat die Krippe ihr Territorium fast ausschließlich in katholischen Gegenden gehabt, während in evangelischen Haushalten der Christbaum stand. Den gab es umgekehrt in katholischen Haushalten nicht.“
Und das war nicht nur Folklore, sondern hatte wohl handfeste theologische Gründe, wie Schindler weiter ausführt: „Der Protestantismus ist nun mal die Konfession der Schrift und weniger des Bildes. Im 20. Jahrhundert aber wurde die evangelische Haltung gegenüber Bildern schlichtweg liberaler.“ Zudem hatten gerade in der Gegenreformation die Jesuiten Bauanleitungen für Krippen verfasst, um möglichst weiten Schichten der Bevölkerung die Weihnachtsgeschichte – in katholischer Lesart – anschaulich und angreifbar näherzubringen. In den evangelischen Regionen brauchte es hingegen konkrete Vorbilder, um die Protestantinnen und Protestanten vollständig vom Reiz der Krippe zu überzeugen. Letztlich war es mit Max Schmederer der Stifter der Sammlung im Bayerischen Nationalmuseum selbst, der die Initiative ergriff. Er schenkte dem preußischen Kaiser Wilhelm II. und dessen Frau Auguste Viktoria kurz nach der Jahrhundertwende eine Krippe im neapolitanischen Stil. Besondere Pointe: Als Landesherr war Wilhelm auch oberster Bischof der evangelischen Kirche: „Und wenn der Kaiser und Bischof eine Krippe hat, dann ist natürlich klar, dass auch andere es für legitim halten, eine Krippe aufzustellen.“
Lamas statt Ochs und Esel
Die Krippe selbst ist weit gereist. Weltweit sogar. Die Jesuiten nahmen auf ihren Katholisierungszügen nach Südamerika schon im 17. Jahrhundert Krippen mit. Und mussten wohl bald feststellen, dass die Einheimischen wenig mit einer brünetten Maria oder mit bärtigen Hirten anfangen konnten. „In Peru hat sich dann etwa die Krippentradition herausgebildet, Figuren mit überlangen Hälsen herzustellen. Da sehen Lamas, die Ochs und Esel ersetzen, aus wie Giraffen“, erzählt der Krippenexperte im Bayerischen Nationalmuseum, Thomas Schindler. Auch Maria, Josef und die Hirten haben extrem unproportionale Hälse. Das gehe auf indigene Traditionen zurück: „Die Figuren, die zehn Jahre zuvor vielleicht noch zur Darstellung einer heidnischen Gottheit gedient haben, dienen jetzt als Schablone für Krippenfiguren. Und das wurde von der katholischen Kirche auch goutiert“, betont Schindler. Ähnliche Prozesse der Inkulturation, also der Adaption an lokale Kulturen, finden sich bald weltweit. Bei Puebloindianern in Nordamerika lagern Maria und Josef mit rötlichem Hautteint vor einem traditionellen Lehmbau. In Afrika sind die Hirten nicht wettergegerbte Männer in langen Umhängen, sondern tragen Lendenschurz. Und in Südafrika wiederum haben sich sehr abstrakte Krippen gebildet, die nur aus bunten Muscheln und Glasringen bestehen.
In Hallstatt bleiben die Krippenvorlieben doch deutlich „europäisch“. So erzählt Pfarramtsmitarbeiterin Angelika Sachsenhofer abschließend von ihrer Lieblingskrippe, die seit ihrem Urgroßvater – seit fünf Generationen – in Familienbesitz ist: „Entstanden ist sie um 1900. Sie ist ein Kunstwerk des Fachschullehrers Leopold Pölleritzer. Die Figuren sind sehr detailgenau geschnitzt.“ Und auch Volkskundler Thomas Schindler hat eine Lieblingskrippe in seiner Sammlung. Sie stellt allerdings nicht die Heilige Nacht dar, sondern die Herbergssuche davor: „Sie kommt mit relativ wenigen Figuren aus, aber sie zeigt die Dramatik der Ereignisse vor der Geburt Christi: als es buchstäblich um Existenzielles geht, aber die noch nicht ganz komplette Familie auf die Ignoranz der Menschen stößt. In der Ablehnung und Abweisung kommen ganz stark die negativen Seiten der Menschheit zum Ausdruck. Hier wird Heilserwartung also konkret mit dem Bedarf nach Heil verbunden.“ Und genau danach sehnen sich zu Weihnachten wohl so viele: nach einer Welt, die heil ist.
Der vorliegende Text ist in einer Langversion in der Dezember-Ausgabe der evangelischen Zeitung SAAT erschienen. Die SAAT können Sie um 30 Euro pro Jahr unter shop.evang.at abonnieren.