Das tägliche Brot
Michael Chalupka über einen Gott, der nicht rationiert
Morgen feiern die evangelischen Pfarrgemeinden Erntedank. Wie jeden Sonntag, werden sie im Vater unser beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Diese Bitte zeigt, dass ohne Hunger zu leben, alles andere als alltäglich gewesen ist. Heute geht es uns gut. Ich selbst habe, anders als meine Eltern oder gar Großeltern, den Hunger nie schmecken müssen. Wird die Bitte dadurch überflüssig?
Martin Luther schreibt dazu: „Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.“
Gottes gute Schöpfung hält Gaben für alle bereit. Auch heute würde die landwirtschaftliche Produktion ausreichen, um alle Menschen auf der Erde zu ernähren. Gott rationiert nicht. Gott schenkt reichlich. Der Mensch aber verteilt Gottes gute Gaben ungerecht. Die einen sichern sich große Schnitten vom täglichen Brot, während die anderen mit den Brosamen vorliebnehmen müssen.
Darum bitten wir im Vater Unser, dass wir erkennen: Es ist nicht unser Anrecht, die dicksten Brotscheiben zu genießen. Vielmehr sollen wir unser tägliches Brot mit Dank empfangen. Der Dank richtet sich an den Schöpfer, von dem wir die Gaben des Lebens geschenkt bekommen. Dankbar sein heißt erkennen, dass wir uns nicht alles selbst verdanken und verdienen und das, was uns geschenkt ist, wenn nötig teilen können.