Afghanistan: Asylexperte Riedl fordert von Regierung „mehr Realitätssinn“
Diakonie-Direktorin Moser fordert humanitäre Korridore für Frauen
Wien/Kabul (epdÖ) – Nach der Eroberung der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die islamistischen Taliban hat Diakonie-Asylexperte Christoph Riedl von der österreichischen Bundesregierung „mehr Realitätssinn“ eingefordert. Innenminister Karl Nehammer hatte ja betont, Afghanen mit negativem Asylbescheid so lange wie möglich abzuschieben. „Es ist beinahe eine trotzige Haltung angesichts des historischen Ereignisses, das sich gerade in Afghanistan abspielt. Statt sich zu überlegen, wie man möglichst vielen Menschen helfen kann, überlegt man weiterhin, wie man Menschen nach Afghanistan abschieben kann, was völlig absurd ist“, sagte Riedl am Montag, 16. August, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst.
Die Berufung auf gültige Gerichtsentscheidung sei durch die Ereignisse in Afghanistan überholt, betont Riedl. „In jedem dieser Bescheide steht, dass Herat und Mazar-i-Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative darstellen.“ Beide Städte sind mittlerweile von den Taliban eingenommen. Negative Asylbescheide seien folglich Makulatur. „Man kann also jedem Afghanen, der eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen hat und theoretisch vor einer Abschiebung steht nur dazu raten, einen neuen Asylantrag zu stellen. Daraus müsste sich zumindest ein subsidiärer Schutz ergeben.“ Es könne zudem in Zukunft keine neuen negativen Asylbescheide mehr geben: „Solche Bescheide sind mit Sicherheit falsch und werden von den Gerichten behoben.“
Auch ein Abkommen mit der afghanischen Regierung zur Rücknahme abgeschobener Menschen aus Afghanistan sei hinfällig: „Wer soll dieses Abkommen einhalten? Das hat eine Regierung unterschrieben, die es jetzt nicht mehr gibt.“ Die Haltung der österreichischen Regierung wirke daher im internationalen Vergleich „lächerlich“: „Ich weiß nicht, wem man da etwas einreden will.“
Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte in einer Aussendung vom Mittwoch, 18. August, humanitäre Korridore für Frauen aus Afghanistan: „Reden wir jetzt über frauenspezifische Asylgründe, darüber, das Leben von Frauen zu schützen“, appellierte die Moser. Insbesondere Frauen und Mädchen, die sich im öffentlichen Raum zeigen, sowie Journalistinnen, Mitarbeiterinnen der ehemaligen Regierung und Mitarbeiterinnen internationaler Organisationen drohe nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban Gewalt und Verfolgung. „Österreich hat bei großen internationalen Konflikten immer geholfen und wenn notwendig, bedrohte Menschen in Sicherheit gebracht“, erinnerte die Diakonie-Direktorin.
Nach dem Abzug internationaler Kräfte aus Afghanistan haben die islamistischen Taliban das Land wieder großteils unter ihre Kontrolle gebracht. Deutschland und die Niederlande verkündeten am Mittwoch, 11. August, vorerst von Abschiebungen absehen zu wollen. Laut UNHCR sind 2,5 Millionen Menschen aus Afghanistan auf der Flucht (bei rund 38 Millionen Einwohnern).