„Menschen im Geiste Jesu zum Leben ermutigen“
Ulrich Körtner über die Erwartungen an die Kirchen in der Corona-Krise
Wien (epdÖ) Was kann eine säkulare, weltanschaulich und religiös plurale Gesellschaft von den Kirchen noch erwarten? Dieser Frage geht der evangelische Theologe Ulrich Körtner in einem Gastbeitrag für die Wiener Zeitung (2. Oktober) nach. Der Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien erinnert dabei an das Bibelwort aus dem zweiten Timotheus-Brief: „Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
Tatsächlich, befindet Körtner, herrsche in der Corona-Krise der Geist der Furcht vor, „befeuert durch Teile der Politik, die auf Dramatisierung als Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Strategie zur Eindämmung der Pandemie setzen“. Eine hochkomplexe Gesellschaft wie die unsere sei jedoch immer auch risikoanfällig, die Corona-Pandemie bringe einen plötzlichen Kontrollverlust in allen Lebensbereichen. Körtner: „Das Virus ist zur Einbruchstelle des Unverfügbaren und Unbeherrschbaren geworden. Dagegen hilft auch kein Leugnen und Verharmlosen à la HC Strache, der von einer Pandemie nichts bemerkt haben will. Mit dem Virus leben zu lernen, bedeutet, neu zu lernen, mit der Ungewissheit zu leben.“
Gottvertrauen als „Quelle des Mutes“
Der biblische Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit solle keineswegs zur Sorglosigkeit und Leichtfertigkeit verleiten. Wer etwa die Gefahr, die vom Corona-Virus ausgehe, leugne, zeige sich „nicht glaubensstark, sondern verantwortungslos“. Unbedingtes Gottvertrauen verführe nicht zum Leichtsinn, sondern sei „eine Quelle des Mutes“. Gelassenheit zeichne den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit aus, der nicht mit „Kraftmeierei“ verwechselt werden dürfe. Vielmehr zeige er sich als innere Stärke und Souveränität, die ein Mensch gerade nicht aus sich selbst, sondern im Vertrauen auf Gott als wahrer Kraftquelle schöpf. Daher sei es Aufgabe der Kirchen, „Menschen im Geiste Jesu zum Leben zu ermutigen, auch und gerade in der Corona-Pandemie“.
Nächstenliebe und Solidarität über die Grenzen hinaus
Der Geist der Liebe meine auch nicht romantische Schwärmerei, führt Körtner weiter aus, sondern zeige sich in tätiger Nächstenliebe und Solidarität mit jenen, die unter der Pandemie besonders leiden, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus. Der Geist der Liebe äußere sich ebenso in der Bereitschaft, einander zu vergeben, schreibt der Wiener Theologe und plädiert für einen „barmherzigen Umgang“ mit den politischen Verantwortungsträgern. Fehler müssten offen benannt und abgestellt werden. Gleichzeitig brauche es „Nachsicht“ mit Politikern, „die sich einer Situation stellen mussten, für die es keine Blaupause gab“.
Der Geist der Besonnenheit passe durchaus zu entschlossenem Handeln und bedeute nicht Trägheit oder Zögerlichkeit. Zur Besonnenheit gehöre, die Folgen seines Tuns und Lassens zu bedenken ebenso wie das Wissen um die eigenen Grenzen. Körtner abschließend: „Sich im christlichen Geist zu besinnen aber heißt, sich auf Jesus Christus zu besinnen und ihm im Leben und Tun zu entsprechen suchen. Eine Kirche, die davon zu reden weiß, ist vielleicht nicht systemrelevant wie Spitäler, Polizei oder Supermärkte, dafür aber – so der evangelische Theologe Wolfgang Huber – existenzrelevant.“
Der vollständige Beitrag kann hier nachgelesen werden.