Grenzen

 
von Evangelischer Pressedienst

Julia Schnizlein über Linien, die Räume schaffen

Küsschen rechts, Küsschen links – haben Sie das in den vergangenen Monaten vermisst? Ich ehrlich gesagt nicht. Der Lock-Down hat uns zum Abstand gezwungen, auch zum Abstand von gewohnten Ritualen. Der Wangenkuss war eins davon.

Wie vielen anderen ist mir erst durch den Entzug bewusst geworden, wie häufig und wie viele Menschen ich küsse. Viel zu oft, ohne es wirklich zu wollen. Weil es eben dazugehört. Weil diese Form der körperlichen Nähe irgendwann Usus geworden ist, ohne jedoch echte Nähe zu schaffen. Während ich den Handschlag als verbindliches Begrüßungs- und Abschiedsritual wieder herbeisehne, möchte ich auf den inflationären Gebrauch des Bussi-Bussi in Zukunft gern verzichten.

Der Lock-Down hat vielen Menschen wieder mehr Bewusstsein für die eigenen Grenzen geöffnet. Nicht nur für die körperlichen, sondern auch für persönliche Grenzen. Viele hatten Zeit, innezuhalten und sich bewusst zu machen, was ihnen wichtig ist und wie sie leben wollen.

Persönliche Grenzen wahrzunehmen und Grenzen zu setzen ist keine leichte, aber eine umso wichtigere Übung. Nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch, damit die Menschen um uns herum wissen, wen sie da vor sich haben und wie sie uns gegenübertreten sollen. Denn viele Grenzüberschreitungen passieren unbewusst und unwissentlich.

Grenzen sind wichtig. Die Bibel selbst beginnt mit Grenzziehungen. Gott zieht Grenzen zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Tag und Nacht, zwischen Himmel und Meer. Diese Grenzen sind notwendig, um den Raum zu schaffen, auf dem überhaupt gelebt werden kann.

Grenzen dürfen und müssen verteidigt werden. Erst recht, wenn sie wissentlich und vorsätzlich überschritten werden. Solche Grenzüberschreitungen finden immer wieder statt, körperlich und vor allem verbal. Daher dürfen wir nicht schweigen, wenn wir Zeugen werden, wie Menschen die Grenzen des Gesetzes, des Anstands, der Moral und der Menschlichkeit überschreiten. Es reicht nicht, rassistische oder sexistische Alltagssprüche mit einem Kopfschütteln abzutun. Ganz gleich, ob wir selbst betroffen sind oder ob es andere betrifft: Wir müssen aufbegehren und Stellung beziehen, wo immer Grenzen verletzt werden.

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