Talente Einsetzen

 
von Evangelischer Pressedienst
"Menschen auf der Flucht haben Fähigkeiten und Begabungen. Sie wollen etwas daraus machen. Sie wollen arbeiten." Foto: pixabay
"Menschen auf der Flucht haben Fähigkeiten und Begabungen. Sie wollen etwas daraus machen. Sie wollen arbeiten." Foto: pixabay

Maria Katharina Moser über den Wunsch, zu arbeiten

Es ist Sonntag. Wir haben coronabedingt im Freien Gottesdienst gefeiert, sitzen noch beisammen und genießen die Sonne. „Ich will endlich arbeiten“, sagt N. „Ich verliere meine besten Jahre.“ Als Asylwerberin hat sie keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. M., der ebenfalls seit Jahren darauf wartet, dass sein Asylantrag entschieden wird, stimmt ihr zu: „Ich bin jung, ich habe Kraft. Aber das Warten macht mich müde und depressiv. Ich verliere meine Kraft. Ich will doch nur arbeiten. Warum darf ich nicht?“ „Weißt du“, sagt N., „wir wollen etwas zurückgeben für die Unterstützung, die wir bekommen. Wir Flüchtlinge haben ja auch Talente, wir können viel beitragen.“

Ich muss an das Gleichnis von den anvertrauten Talenten aus dem Matthäusevangelium denken: Ein Mann geht auf Reisen und vertraut seinen Knechten sein Vermögen an. Als er wieder zurückkommt, hat der erste Knecht zu den fünf Talenten Silber, die er anvertraut bekommen hat, weitere fünf dazu gewonnen, der zweite Knecht zu den anvertrauten zweien zwei weitere. Der dritte Knecht aber hat sein Talent vergraben aus Angst, es zu verlieren. Er zieht deshalb den Groll des Herrn auf sich. Denn für den Herrn ist nicht Sichern ausschlaggebend, sondern Vermehren. Da „Talent“ in der Antike eine Bezeichnung von Geldmengen war, wird das Gleichnis immer wieder ökonomisch verstanden: als Aufforderung zum risikobereiten Wirtschaften. Im übertragenen Sinn wird es verstanden als Aufforderung, sich nicht auf seinen Talenten und Begabungen auszuruhen. Etwas aus sich machen – das ist zum Anspruch geworden, dem sich heutzutage jede und jeder stellen muss.

Ich persönlich finde den Herrn nicht gerade sympathisch. Er wird als Mann beschrieben, vor dem man sich zurecht fürchten kann. Aber immerhin, denke ich mir: Er vertraut den Knechten die Talente an und traut ihnen zu, dass sie etwas daraus machen. Diese Chance wird N. und M. in den Jahren des Wartens auf ihren Asylbescheid verwehrt.

Der gestrige Weltflüchtlingstag ist eine gute Gelegenheit daran zu erinnern: Menschen auf der Flucht haben Fähigkeiten und Begabungen. Sie wollen etwas daraus machen. Sie wollen arbeiten. Nicht nur um Geld zu verdienen, sondern auch um etwas beizutragen. Um dem Land, das sie aufgenommen hat, etwas zurückzugeben. Geben wir ihnen die Chance dazu.

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