Lasst uns ordentlich streiten!
Julia Schnizlein über ein Schreckensgespenst des Miteinanders
„Hört sofort auf, zu streiten!“ Ich weiß nicht, wie oft ich meinen Kindern diesen Satz schon entgegengeschleudert habe. Zornig, genervt, resigniert oder leise bittend. Wie viele andere Eltern auch mag ich keinen Streit.
Grundsätzlich gilt Streit ja als Schreckensgespenst des zwischenmenschlichen Miteinanders. Groß ist die Sehnsucht nach Harmonie und Friede.
Daher versuchen wir Erwachsene oft, dem Streit bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Wir schweigen lieber, als ein lautes Wort zu provozieren. Wir schlucken Kränkung und Unmut, um Eskalation zu vermeiden. Wir wursteln uns irgendwie durch, um so unbeschadet wie möglich aus einer Sache herauszukommen. Weil wir glauben, es gäbe im Streit nur zwei Optionen: totale Eskalation oder totale Niederlage. Weil wir nicht gelernt haben, wie man ordentlich streitet.
Tatsächlich verhalten wir uns im Streit oft kleinlich und destruktiv. Verrennen uns in Nebensächlichkeiten oder belassen es beim zynischen Daherreden oder bloßen Moralisieren, weil wir für andere Argumente unzugänglich sind. Ein so ausgetragener Streit ist natürlich genau so nutzlos und krankmachend, wie die Strategie, den Streit zu vermeiden und Konflikte unter einer Decke von Harmonie zu verstecken.
Paulus rät im Brief an die Epheser: „Wenn ihr zornig seid, dann macht es nicht noch schlimmer, indem ihr unversöhnlich bleibt. Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr euch vergeben habt.“
Vergebung ist das Schlüsselwort. Vergebung durch den Austausch von Argumenten. Vergebung in Form von Annäherung und Verstehen muss Ziel jedes Streits sein. Streitkultur muss mit Versöhnungskultur Hand in Hand gehen. Natürlich löst sich nicht jeder Streit in Verständnis auf. Manchmal muss man auch anerkennen, dass manche Positionen nicht zu versöhnen sind. Eine Form der Versöhnungskultur kann dann auch eine friedliche Trennung sein, so wie Paulus und Petrus sie vollzogen. Beide mussten einsehen, dass ihre Haltungen zur Mission im Urchristentum zu unterschiedlich waren und fanden in der „Arbeitsteilung“ (der eine unter Heiden, der andere unter Juden) einen Kompromiss.
Streit kann wertvoll und produktiv sein, wenn er dazu führt, dass die Streiter lernen, die Haltung des anderen zu akzeptieren, auch wenn sie anderer Meinung sind. „Nicht jene, die streiten sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)