Die Kraft des Wortes
Maria Katharina Moser über die Bibel in der Coronakrise
Maria Katharina Moser über die Bibel in der Coronakrise
Manchmal kommt ein Geschenk unerwartet, aber nicht zufällig. Wie das Geschenk, das ich dieser Tage von Herrn H. bekommen habe. Ich habe Herrn H. vor einigen Jahren bei Kaffee und Kuchen nach einem Reformationsgottesdienst kennengelernt. Wir sind ins Gespräch über Martin Luthers Bibelübersetzung gekommen. Vor kurzem hat er sich bei mir gemeldet. Er wolle mir seine Faksimile-Ausgabe der Lutherbibel von 1534 schenken, hat er gesagt. Er möchte, dass jemand seine Bibel bekommt, der sie zu schätzen weiß, und bei mir wisse er sie in guten Händen.
Es berührt mich, gerade in einer Zeit eine Bibel geschenkt zu bekommen, in der sich die Bedeutung des Wortes ganz besonders zeigt. In Zeiten von Corona sind wir zurückgeworfen auf das Wort. Sowohl in unserem privaten wie auch im kirchlichen Leben. Wenn wir auf das Zusammentreffen in der gottesdienstlichen Gemeinschaft und auf das Abendmahl verzichten müssen, ist es das Hören und Lesen des Wortes Gottes, an der wir uns aufrichten können. Wenn wir uns isolieren müssen und nicht in den Arm nehmen können, dann ist das liebevolle Wort der Trost, der uns bleibt.
Die Bibel erzählt ganz zu Beginn, wie der Mensch, ja die ganze Schöpfung durch Gottes Wort ins Sein gerufen wird. Im 5. Buch Mose heißt es: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht“, und Jesus zitiert diesen Satz, als er 40 Tage in der Wüste fastet. Mir hilft dieser Satz in Zeiten von Corona, weil er die Kraft des Wortes beschreibt. Worte sind Lebens-Mittel. Balsam auf unserer Seele, wie der Neurowissenschaftler Joachim Bauer erklärt. Im Stirnhirn gibt es sogenannte „Selbst-Netzwerke“ – sie sind der Ort, an dem wir uns selbst wahrnehmen. Diese Zentren reagieren auf positive Worte und aktivieren unsere Selbstheilungskräfte.
Worte lassen uns aufleben. Das Wort Gottes lässt uns aufleben. Wir hören das Wort Gottes, wenn wir die Bibel lesen. In gewisser Weise hören wir das Wort Gottes auch aus dem Mund anderer Menschen, die uns Trost und Mut zusprechen. Denn das Wirken des göttlichen Geistes tritt als menschliches Sprechen in Erscheinung, wie der evangelische Theologe Wilhelm Dantine sagt. Gott im Menschenmund.
Die lebensspendende Kraft des Wortes trägt uns durch die Krise – im Hören des Wortes, mit dem andere Menschen uns aufrichten, und im Lesen der Heiligen Schrift. Herr H. ermuntert mich mit seinem Geschenk, die Bibel öfter zur Hand zu nehmen. Wie hat Luther so schön gesagt? „Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es.“