Liebenswert
Maria Katharina Moser über Vorsätze und Körperbilder
Keine 20 Tage ist das neue Jahr alt, und schon sind die ersten Neujahrsvorsätze wieder gebrochen. Das Papier der Schokolade, die ich nicht essen wollte, im Mistkübel ist stumme Zeugin des Scheiterns am eigenen inneren Schweinehund. Die Laufschuhe warten im Schuhkastel, die Nordic Walking Stöcke lehnen in der Ecke. Dabei scheint es mir jedes Jahr dringlicher, auf ein Mindestmaß an Fitness zu achten und meinen Körper im Form zu bringen – schließlich nagt der Zahn der Zeit an ihm. Wir werden alle nicht jünger, und wir sollen gesund altern. Krankheiten vorbeugen. Eigenverantwortung zeigen.
Für die Selbstachtung sind gebrochene Vorsätze Gift. Erwartungen und besonders den eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden, nagt am Selbstwert. Wenn mich das Scheitern an meinen eigenen Erwartungen nach unten zu ziehen droht, hilft mir Satz, den ich bei der US-amerikanischen Pfarrerin Nadja Bolz Weber gelesen habe. Jedes Jahr, schreibt sie, erinnere sie sich selbst und andere daran: „There is no resolution that, if kept, will make you more worthy of love.“ Worthy of love – wert geliebt zu werden, das ist nichts, was am erfolgreichen Einhalten von Vorsätzen hängt. Kein eingehaltener Vorsatz macht uns liebenswerter.
In diesem Gedanken spiegelt sich die ur-evangelische Glaubenseinsicht: Gott liebt uns vor aller Leistung, in aller Zerbrechlichkeit, trotz aller Schuld. Diese Glaubenseinsicht ist ein Stachel im Fleisch unserer Leistungsgesellschaft mit ihrer Obsession vom perfekten Körper: fit, trainiert, makellos, schön, ewig jung. Diese Obsession steht in scharfen Kontrast zur Realität: Unser Körper wird alt und faltig, ausgemergelt oder fett, bekommt Krebs oder produziert kein Insulin mehr. So banal der Hinweis darauf klingt, so wirkmächtig ist die Obsession vom perfekten Körper: Magersucht, milliardenschwere Kosmetik- und Fitness-Industrie, Schönheitsoperationen, tiefsitzende Angst vor der Hinfälligkeit unsere Körper.
Die Obsession vom perfekten Körper hat ein Bild vor Augen. Eines, ein einziges, ein einheitliches. Unmöglich zu erreichen. Wer den Blick auf das Perfekte richtet, kann die Vielfalt nicht sehen und nicht die Einmaligkeit, das Mögliche nicht und nicht das Liebenswerte. Wer den Blick auf das Perfekte richtet, kann das Gute nicht sehen. Perfektion ist all zu oft die Feindin des Guten.
Als Gott sein Schöpfungswerk vollendet hatte, die sah er, dass es gut war. Gut. Nicht perfekt. Es ist richtig, für unseren Körper, der gut ist in den Augen Gottes, zu sorgen, ihn in Form und bei Gesundheit zu halten. Aber das Einhalten dieses Vorsatzes macht uns nicht mehr oder weniger liebenswert. In Gottes Augen nicht, und hoffentlich auch nicht in unseren eigenen.