Im Gespräch – „Gefängnis der Einsamkeit“

Julia Schnizlein über eine Zelle, die sich nur von innen öffnen lässt

 
von Evangelischer Pressedienst
"Es heißt, die Einsamkeit sei eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt. Das gelingt sicher nicht immer. Aber es lohnt sich, im Vertrauen auf Gott zu versuchen, diese Türe zu öffnen und auf andere zuzugehen." Foto: pxhere
"Es heißt, die Einsamkeit sei eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt. Das gelingt sicher nicht immer. Aber es lohnt sich, im Vertrauen auf Gott zu versuchen, diese Türe zu öffnen und auf andere zuzugehen." Foto: pxhere

Julia Schnizlein über eine Zelle, die sich nur von innen öffnen lässt

Wo sind all die Menschen geblieben?, frage ich mich im Sommer oft. Wien wirkt wie leergefegt. Zwar werden die touristischen Hotspots von Menschenmassen bevölkert, aber über jenen Orten, die in keinem Reiseführer zu finden sind, liegt eine Art Dornröschenschlaf. Auch meine Arbeit ist vom Sommer gezeichnet. Der Schulunterricht fällt weg und planbare Termine wie Taufen und Trauungen finden meist in den nicht ganz so heißen Monaten statt. Eines aber bleibt. Das sind die Trauerbegleitungen und Beerdigungen. Menschen sterben. Unerwartet. Unplanbar. Zu jeder Jahreszeit. Und weil auch Pfarrerinnen einmal Urlaub machen, übernehmen jene, die zurückbleiben, die Beerdigungen für andere Gemeinden.

So begegnet mir der Tod dieser Tage sehr geballt. Und es begegnet mir die Einsamkeit. Die Angst, dass niemand mehr bleibt. Niemand einen mehr braucht. Niemand mehr nach einem fragt.

Einsamkeit tut weh, weil sie ein Mangelzustand ist. Weil Zuneigung fehlt. Weil Liebe, Nähe und Wärme fehlen und das Gefühl, für irgendeinen Menschen auf der Welt wichtig zu sein. Aber Einsamkeit ist kein Phänomen unserer Zeit. Schon auf der ersten Seite der Bibel heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (1. Mose, 2).

Und doch lesen wir in der Bibel viel von einsamen Menschen. Einer zum Beispiel lag sage und schreibe 38 Jahre lang in einer Säulenhalle, die am Teich Bethesda errichtet war. Dem Wasser des Teichs wurden Heilkräfte zugeschrieben. Doch der Mann war gelähmt und konnte das angeblich heilbringende Wasser nicht erreichen. Offenbar gab es auch niemanden, der ihm half. Denn als Jesus zu ihm kam, erklärte ihm der Gelähmte: „Ich habe keinen Menschen.“ Jesus sah diesen Mann, sah sein Leid, sah die jahrelange Einsamkeit und er fragte: „Willst du gesund werden?“ Das klingt im ersten Moment grotesk. Doch die Frage ist berechtigt. Ohne den Willen eines Patienten kann es keine Heilung geben. Genauso können beratungsresistente Menschen jede noch so sinnvolle Veränderung und jeden guten Ratschlag boykottieren. Aber der Lahme von Bethesda war offen für Jesu Eingreifen. Er ließ sich von Jesus zurückholen in die Gemeinschaft. Was der Mann 38 Jahre lang nicht konnte, das konnte er nach der Begegnung mit Jesus. Er ging. Er ging auf andere zu und erzählte ihnen von Jesus.

Es heißt, die Einsamkeit sei eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt. Das gelingt sicher nicht immer. Aber es lohnt sich, im Vertrauen auf Gott zu versuchen, diese Türe zu öffnen und auf andere zuzugehen. Ein Gespräch zu suchen. Auch mit einem Fremden. Vielleicht wartet dieser Fremde ja nur darauf, angesprochen zu werden.
Denn es ist klar: Gott hat den Menschen zur Gemeinschaft geschaffen. Mit ihm und anderen.

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