Fehlendes Bewusstsein für Jude-Sein Jesu
Theologen fordern weitere Schritte zur Anerkennung des Judentums „auf Augenhöhe“
Theologen fordern weitere Schritte zur Anerkennung des Judentums „auf Augenhöhe“
Wien (epdÖ) – Dass Jesus Jude war werde in der christlichen Theologie immer noch zu wenig berücksichtigt, lautete der Tenor einer christlich-jüdischen Podiumsdiskussion am Dienstag, 29. Jänner, im Wiener „RadioKulturhaus“. Im Rahmen eines internationalen Symposiums diskutierten der Wiener römisch-katholische Theologe Jan-Heiner Tück, sein evangelischer Wiener Kollege Christian Danz, der Freiburger Theologe Magnus Striet sowie der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka interreligiöse Aspekte der Christologie.
Einig waren sich die Theologen zudem darin, dass bei allen Reformbemühungen das Ziel nicht aus dem Auge verloren werden dürfe, das Judentum christlicherseits als wirklich gleichrangig anzuerkennen und nicht als überholt oder durch die Botschaft Jesu erfüllt. Um diesem Anliegen sichtbar Ausdruck zu verleihen, erneuerte Tück seine Forderung, das Fest „Beschneidung des Herrn“ in der römisch-katholischen Kirche wieder einzuführen. Der Dogmatiker hatte diesen Vorschlag vor wenigen Wochen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ unterbreitet und damit begründet, dass dies ein „demonstrativer Akt der Solidarität mit den Juden heute“ sei, „denen in Zeiten eines erstarkenden Antisemitismus auch und gerade durch Christen der Rücken zu stärken ist.“
Danz: Gefahr der „christlichen Vereinnahmung des Judentums“
Kritik an den katholischen Versuchen einer dem Judentum gerecht werdenden Theologie übte der evangelische Theologe Christian Danz: Sowohl das immer wieder als Meilenstein angeführte Konzilsdokument „Nostra Aetate“ als auch Vorschläge wie jener Tücks zur Wiedereinführung des Festes „Beschneidung des Herrn“ würden letztlich nichts anderes als Formen der „christlichen Vereinnahmung des Judentums“ darstellen – nicht aber eine Anerkennung auf Augenhöhe.
Auch der römisch-katholische Fundamentaltheologe Magnus Striet aus Freiburg sah in der Frage des christlich-exklusiven Heilsweges im Bekenntnis zu Jesus Christus den entscheidenden Stolperstein im jüdisch-christlichen Dialog. Die christliche Theologie habe sich aufgrund der in frühchristlicher Zeit ausbleibenden Parusie – also der erhofften baldigen Wiederkunft Christi – in den Fragen von Heil, Erlösung, Schuld und Sünde immer mehr vom Judentum abgekoppelt. Heute müsse man daher aus christlicher Sicht die Erlösungsfragen hintanstellen und stattdessen auf einen „ethischen Monotheismus als Minimalstandard“ für einen jüdisch-christlichen Dialog hinwirken.
„Bleibende Negativbilder“ im Christentum
Walter Homolka verwies auf bleibende negative Bilder, die das Christentum bis heute transportiere – etwa die in der Figur des Judas Ischariot tradierte Idee eines gescheiterten Judentums. Keinen Stolperstein ortete Homolka indes in der Frage, inwiefern sich ein christlicher Neuaufbruch als „Theologie nach Auschwitz“ verstehen müsse. Dieser Terminus, der in der christlichen Theologie von Johann Baptist Metz eingebracht wurde und seither zu einer Art Qualitätsstandard geworden ist, den keine zeitgeschichtlich sensible christliche Theologie unterlaufen darf, spiele für eine jüdische Annäherung an Jesus von Nazareth keine Rolle. So wichtig diese Markierung für die christliche Theologie sei, so sehr verweise man jüdischerseits darauf, dass nicht Gott versagt habe, indem er den Holocaust zuließ, sondern Menschen.
Die Podiumsdiskussion im ORF-RadioKulturhaus fand im Rahmen einer dreitägigen internationalen Fachtagung zu dem Thema statt, die von 29. bis 31. Jänner in Wien abgehalten worden war. Die Tagung, zu der die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien gemeinsam mit der Potsdamer School of Jewish Theology und dem Abraham Geiger-Kolleg geladen hatte, versammelte rund 30 internationale Fachleute aus Judentum und christlichen Kirchen zur Frage der Christologie angesichts des Jude-Seins Jesu.