Dem Volk aufs Maul sehen
Maria Katharina Moser über 500 Jahre Bibelübersetzung durch Martin Luther
Jemanden auf Händen tragen, etwas wie seinen Augapfel hüten, Perlen vor die Säue werfen. Sie kennen diese Redewendungen sicher. Wissen Sie auch, woher sie stammen? Richtig, aus dem Sprachschatz Martin Luthers. Auch Begriffe wie Lückenbüßer, Lästermaul und Langmut hat Luther uns geschenkt. Seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche war prägend für die deutsche Sprache.
Heuer feiert Luthers Bibelübersetzung ihren 500. Geburtstag. Sie gehört zusammen mit seinen 95 Thesen, deren Veröffentlichung sich am morgigen 31. Oktober zum 505. Mal jährt, zu den Meilensteinen der Reformation.
Freilich ist die „Luther-Bibel“ nicht Luthers Leistung allein. Zu seinem Schutz auf die Wartburg „entführt“, übersetzte Luther 1521/22 in nur elf Wochen das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche. Sein Weggefährte Philipp Melanchthon überarbeitete den Text. Wie umfänglich, wissen wir nicht genau, jedenfalls ist die Übersetzung Teamwork.
Luther war auch nicht der erste, der die Bibel ins Deutsche übertrug. 14 Übersetzungen gab es vor 1522. Der große Unterschied, den Luther machte: Es ging ihm um mehr als eine Übertragung von einer Sprache in die andere. Es ging ihm um die Kommunikation des Evangeliums. Verständlich sollte die Bibel sein, sie sollte die Menschen ansprechen, ins Ohr und zu Herzen gehen. Während frühere Übersetzungen oft wortwörtlich, ungelenk und unverständlich waren, suchte Luther den Menschen den Sinn der Heiligen Schrift zu vermitteln: „Ich hab mich bemüht beim Dolmetschen, dass ich reines und klares Deutsch geben möchte. Und es ist uns sehr oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen ein einziges Wort gesucht haben.“
Alle sollten die Bibel lesen können. Und wer sie nicht selbst lesen konnte, sollte sie vorgelesen verstehen. Alle sollten Zugang zum Wort Gottes bekommen, „die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, der gemeine Mann auf dem Markt“. Um dies zu erreichen, hielt es Luther für notwendig, „dem Volk auf das Maul zu sehen“.
Dem Volk aufs Maul schauen – auch das ein Ausdruck, der durch 500 Jahre erhalten geblieben ist. Doch heute wird er oft falsch verstanden. Nämlich im Sinne von „dem Volk nach dem Mund reden“. Wer anderen nach dem Mund redet, will ihnen gefallen, will nicht anecken, biedert sich an. Die Bibel will das Gegenteil: Sie ist voller Geschichten von Veränderung. Gottes Wort ruft auf zur Umkehr. Um diesen Ruf verständlich zu machen, hat Luther dem Volk aufs Maul geschaut. Mit seiner Übersetzung hat er die Heilige Schrift und das Leben der Menschen miteinander ins Gespräch gebracht.