ORF.at-Artikel: Stopp der Frauenordination in Lettland „Fehler“
Abschaffung der Frauenordination in Lettland: Kritik von Bischof Bünker, Superintendent Lein und evangelischen Pfarrerinnen
Im Rahmen einer Synode am Wochenende hatte die größte Religionsgemeinschaft des baltischen Landes die 1975 eingeführte Frauenordination wieder abgeschafft. Unter dem konservativen Kirchenoberhaupt Janis Vanags, dem Erzbischof der lettischen Hauptstadt Riga, waren schon seit über 20 Jahren keine Frauen mehr ordiniert worden.
Die Evangelische Kirche in Österreich beschloss bereits im Jahr 1965, Frauen ins geistliche Amt zu ordinieren. Hansjörg Lein, Superintendent der Diözese Wien, am Dienstag gegenüber religion.ORF.at: „Damit ist unsere Kirche eine Vorreiterin der Gleichberechtigung von Frauen. Es ist mir absolut unverständlich, warum nun die Evangelische Kirche in Lettland einen solchen Rückschritt getan hat. Ich hoffe nur, dass dies ein einmaliger Fehler ist.“
In der Evangelischen Diözese Wien arbeiten bereits fast 50 Prozent Frauen im geistlichen Dienst, „zum Wohl der Gemeinden und zum Wohl der Menschen in dieser Stadt“, so Superintendent Lein.
"Mit der Abschaffung der Frauenordination arbeitet die Lutherische Kirche in Lettland an ihrer Selbstabschaffung. Eine evangelische Kirche, in der Frauen nicht gleichberechtigten Zugang zu allen Ämtern haben, hat keine Zukunft.Der lettische Weg ist ein Sonderweg innerhalb des Lutherischen Weltbunds, der einmal mehr zeigt, dass Nationalismus und Chauvinismus gerne Hand in Hand gehen", formulierte Maria Katharina Moser, Vikarin in der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Wien-Simmering ebenfalls am Dienstag gegenüber religion.ORF.at.
Ingrid Vogel, Pfarrerin der „Kirche am Wege“ der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Hetzendorf, zu der Entscheidung in Lettland: „Frauen und Männer sind verschieden – und das ist gut so.“ Darum könnten auch Frauen und Männer „sehr unterschiedliche Aspekte einbringen – auch im Pfarrberuf. Es ist wirklich kaum zu glauben, dass es im 21. Jahrhundert noch Menschen gibt, die den Reichtum der Vielfalt anscheinend nicht zu schätzen wissen – vor allem, da die lettische Kirche ja schon jahrzehntelange Erfahrungen gemacht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Lettinnen so schlechte Pfarrerinnen sind“, schrieb Vogel in einer Stellungnahme.
„Der Beschluss der lettischen Synode vom 3. Juni 2016 ist rückwärtsgerichtet und scharf abzulehnen. Er steht aus meiner Sicht diametral zur gegenwärtigen evangelisch-lutherischen Lehre“, so Hans-Christian Granaas, Seelsorger der norwegischen Gottesdienstgemeinde und Religionslehrer in Wien gegenüber religion.ORF.at.
„Die Begründung mit dem Schweigegebot des Paulus hält einer Prüfung nicht stand, denn sie leugnet, dass die Bibel in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext zu lesen und zu verstehen ist. Insofern betrachte ich das klare Bekenntnis zur Frauenordination in einer europäischen lutherischen Kirche unserer Zeit auch als Bekenntnisfrage.“
Der Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich und Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, Michael Bünker, bezeichnete bereits am Montag die Entscheidung in einer Presseaussendung als einen „Schlag ins Gesicht“: „Aus österreichischer Sicht ist der Beschluss sehr zu bedauern. Er zeigt eine Entwicklung in manchen Kirchen und europäischen Ländern, die eher rückwärtsgewandt als zukunftsorientiert ist.“
Die evangelischen Kirchen in Europa „empfehlen seit vielen Jahren allen Kirchen, die noch keine Frauen ordinieren, dies einzuführen“, so Bünker in einer Aussendung. Seit vielen Jahren gibt es in der Evangelischen Kirche in Österreich Pfarrerinnen. Bünker: „Die Entscheidung, Frauen zu allen kirchlichen Ämtern zuzulassen, hat sich sehr gut bewährt und ist ein unverzichtbares Kennzeichen der Evangelischen Kirche geworden.“
Der Rigaer Erzbischof will die Ablehnung von Pfarrerinnen mit dem Korintherbrief des Apostels Paulus begründet wissen, in dem Frauen in der Gemeindeversammlung schweigen sollten (1 Kor 14,33b-36). Die evangelisch-lutherische Kirche Lettlands im Ausland, die 25.000 Mitglieder hat, ordiniert hingegen Frauen und hat sogar eine Bischöfin an ihrer Spitze. Im Lutherischen Weltbund (LWB), der die lettische Entscheidung am Montag laut der Website evangelisch.de bedauerte, führen immerhin 26 der insgesamt 145 Mitgliedskirchen keine Frauenordination durch. Etwa auch die evangelisch-lutherische Kirche in Polen lehnt die Frauenordination ab.
Gabriele Lang-Czedik, Pfarrerin der Evangelischen Pfarrgemeinde Wien Liesing, sieht das Problem zum Teil in den vorhandenen Strukturen: „Was auf der einen Seite ein Vorteil in der Evangelischen Kirche ist – dass es keinen Heiligen Stuhl gibt, der für die ganze Welt entscheiden kann, sondern jedes Land seine kirchlichen Regeln selbst findet in seiner Synode – ist auf der anderen Seite ein Nachteil, indem sehr konservative Kirchen für ihr Land leider auch solche Retro-Entscheidungen fällen können.“
Immerhin gebe es „bei uns Evangelischen keine Regel, dass einmal beschlossene Dinge nicht widerrufen werden dürften wie bei päpstlichen Entscheidungen, die nur uminterpretiert, aber nicht widerrufen werden dürfen.“ In der evangelischen Kirche gelte hingegen gerade die Richtlinie: „Ecclesia semper reformanda est“, so Lang-Czedik. „Die Kirche muss immer neu reformiert werden, um das Evangelium menschengerecht und zeitgerecht verkündigen und leben zu können. Die lettische und polnische Kirche deuten das leider gerade in unerfreulicher Weise.“
Text: Johanna Grillmayer, religion.ORF.at;
der Artikel ist bis zum 14.6. online hier nachzulesen: http://religion.orf.at/stories/2778862/
Foto: M. Schomaker (Archiv: Gustav-Adolf-Fest 2016)