Auf der Parkbank
Michael Chalupka über eine aufrüttelnde Skulptur in Belfast
Er scheint zu schlafen. Zuerst sieht man nur die graue Decke, die sich kaum abhebt von der grauen, hölzernen Parkbank. Die Decke hat er sich über den Kopf gezogen, um vor der Kälte und dem gleißenden Licht des Tages geschützt zu sein. Er möchte nichts als schlafen. Da liegt ein Wohnungsloser, einer von vielen in Belfast, einer von vielen im wohlhabenden Europa. Tritt man näher heran, kann man seine Füße erkennen, sie schauen unter der grob gewebten Wollkotze hervor. An den Füßen erkennt man die Wundmale Jesu.
„Homeless Jesus“ – „Der wohnunglose Jesus“ ist eine Skulptur des kanadischen Bildhauers Timothy Schmalz. Sie steht direkt vor dem Eingang eines Hauses der Heilsarmee für Wohnungslose in Belfast. Der Künstler beschreibt seine Skulptur als visuelle Übersetzung von Matthäus 25,45: „Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan.“
Timothy Schmalz versteht seine Bronzeplastik als Provokation. „Sie soll die Menschen, die vorübergehen, herausfordern.“ Wer an ihr vorübergeht, sieht danach die Straßen der Stadt mit anderen Augen. Unter den Brücken, den Seitenausgängen von Garagen, auf den Bänken der Parks, überall finden sich Menschen, Frauen und Männer, deren Wundmale erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Und der Satz geht einem nicht mehr aus dem Kopf: „Was du dem geringsten meiner Brüder und Schwestern tust, das tust du mir.“ Und der Satz gilt nicht nur in Belfast.