Pfarrer*innen zwischen Homeoffice und Live-Stream
Predigt, Seelsorge und Diakonie – trotz geschlossener Kirchentüren
Konfirmations-Kurs? Abgesagt. Taufe? Verschoben. Orgelkonzert? Abgesagt. – Die meisten Termine im Kalender von Wilfried Fussenegger, Pfarrer der Lutherischen Stadtkirche in Wien, sind durchgestrichen. »Natürlich haben auch wir auf das Corona-Virus reagiert«, sagt der 42-Jährige. Er sitzt an seinem Schreibtisch im Homeoffice – und schreibt »trotz Corona« an der Predigt für den nächsten Sonntag. Auch wenn die Stadtkirche geschlossen ist, wird dort Gottesdienst gefeiert.
»Es ist ungewohnt, den Gottesdienst in der großen, leeren Kirche zu feiern. Ich schaue in eine Kamera, statt in hundert verschiedene Gesichter. Die Kamera singt nicht mit, betet nicht mit. Aber sie filmt und streamt den Gottesdienst live auf unseren YouTube-Kanal.« Der Pfarrer lächelt. »Das Internet macht in dieser Krisenzeit doch so einiges möglich.«
Die Evangelische Hochschulgemeinde Wien feiert ihre Abendgottesdienste zum Beispiel via Messenger-Dienst »Signal« in einer Mischung aus Live-Sprachnachrichten, vorher aufgezeichneten Videos und Textnachrichten. »Der Gottesdienst wird dadurch interaktiv. Fürbitten kann zum Beispiel jede und jeder im Fürbittengebet mit einer Textnachricht einbringen«, erklärt Johannes Modeß, der zurzeit Pfarrer in Ausbildung, sogenannter Pfarramtskandidat, ist und die Hochschulgemeinde leitet. »Es ist sehr berührend, wie dann immer und immer noch eine Fürbitte kommt.«
Gottesdienste zum Nachhören, Predigten zum Nachlesen, Mittagsgebete zum Mitfeiern: Die evangelische Gemeinschaft ist derzeit digital (siehe Infokasten rechts). »Wir haben unser Osterbasteln heuer auch auf YouTube verlegt«, sagt Simmerings Pfarrerin Anna Kampl. »Unsere Jugendmitarbeiterin Jojo zeigt auf unserem Kanal der Glaubenskirche, wie man Herzblumen bastelt.« Aber »nur digital« gehe nicht, so die 39-jährige Pfarrerin. »Ich rufe unsere älteren Gemeindemitglieder an, um zu fragen, wie es ihnen geht, ob sie Hilfe benötigen. Außerdem haben wir die Aktion #kreativeNächstenliebe initiiert und rufen besonders die Kinder auf, Bilder zu malen oder ermutigende Sprüche zu gestalten. Die kleinen Kunstwerke schicken wir dann mit der Post zu unseren älteren Gemeindegliedern. Für die einen eine sinnvolle, kreative Beschäftigung – für die anderen eine dankbare Überraschung.«
»Ich vermisse die Kirchenmusik und das gemeinsame Singen«, sagt Elke Petri, Pfarrerin der Pauluskirche im 3. Bezirk. »Wir haben unsere Gemeindeglieder aufgerufen, Videos zu filmen, wie sie zu Hause Kirchenlieder spielen oder singen. Die Videos laden wir auf unsere Facebook-Seite hoch. Jung und Alt beteiligen sich. Es ist bewegend.«
Doch es gibt Dinge, die lassen sich nicht absagen, verschieben oder digitalisieren: Der Tod und das Abschied-Nehmen von geliebten Menschen. »Beerdigungen sind zurzeit besonders schwierig für die Angehörigen. Die strengen Auflagen – allein dass nur der allerengste Familienkreis zusammenkommen darf – sind für viele eine Belastung. So habe es sich der Verstorbene bestimmt nicht gewünscht, wird da unter Tränen gesagt«, berichtet der Floridsdorfer Pfarrer Bernhard Petri-Hasenöhrl. Seelsorge, also das Zuhören und Hinhorchen im vertraulichen Gespräch, das Zulassen unterschiedlichster Gefühle und das Ringen um den Sinn hinter all dem, das sei dann das Wichtigste, so der 39-jährige Pfarrer.
Damit im Hintergrund organisatorisch alles einwandfrei abläuft, arbeiten die Angestellten der Pfarrsekretariate soweit es geht zu Hause im Homeoffice. Auch das Team der Kirchenbeitragsstelle arbeitet im Homeoffice. »Der Parteienverkehr ist eingestellt, aber telefonisch, postalisch und via E-Mail sind wir selbstverständlich erreichbar«, erklärt Superintendent Matthias Geist, »Chef-Pfarrer« der Evangelischen Kirche A.B. in Wien. »Das ist jetzt besonders wichtig, weil uns viele Fragen zum Engagement unserer Kirche erreichen. Die Bescheide zum Kirchenbeitrag waren unglücklicherweise bereits im Postversand, als die Corona-Krise Österreich erfasst hat. Der Kirchenbeitrag ermöglicht uns, ganz speziell und unbürokratisch Menschen zu unterstützen und Hilfe zu leisten. Und keine Sorge: Falls die finanzielle Situation bei Mitgliedern aufgrund der Corona-Krise angespannt ist, finden die Mitarbeiter*innen der Kirchenbeitragsstelle Lösungen wie monatliche Ratenzahlungen oder einen Zahlungsaufschub.«
Dass Gespräche zurzeit räumlich getrennt stattfinden müssen, erschwert besonders die Arbeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger im Gefängnis, im Pflegewohnheim und im Krankenhaus (Seite 7). Auch der Betrieb im »‘s Häferl«, dem Armenwirtshaus in der Gustav-Adolf-Kirche im 6. Bezirk, musste umgestellt werden: Die kostenlosen Essen können nicht mehr serviert, sondern nur mehr ausgegeben werden. »Wir sind froh, dass wir das ´s Häferl nicht zusperren müssen – weil es für so Viele zumindest eine warme Mahlzeit am Tag sichert«, sagt Wilhelm Raber, Geschäftsführer der Stadtdiakonie Wien. »Für die Diakonie, die Hilfe für den Nächsten, haben wir eine Hotline eingerichtet, unter der wir Hilfe-Suchende mit Helfenden zusammenbringen. Dabei geht es um die kleinen Dinge des guten Lebens: Wenn jemand 'telefonischen Besuch' wünscht, Hilfe benötigt beim Einkaufen, bei Besorgungen oder beim Gassi-Gehen mit dem Hund.« In den kleinen Dingen beginne die Mitmenschlichkeit. Und mit Mitmenschlichkeit sei jeder infiziert, ist Raber überzeugt.