Wilfried Engemann nimmt Abschied von Wien
Vorstand des Instituts für Praktische Theologie und Religionspsychologie kehrt nach Emeritierung nach Münster zurück
Wien (epdÖ) – Nach 13 Jahren an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien und 30 Jahren Lehrtätigkeit insgesamt kehrt Wilfried Engemann im Zuge seiner Emeritierung nach Münster zurück. In seiner Abschiedsvorlesung, die der bisherige Vorstand des Instituts für Praktische Theologie und Religionspsychologie am 25. Juni in Wien hielt, ging Engemann auf den Begriff der Rechtfertigung ein. Der Titel der Vorlesung – „Wieviel Rechtfertigung erträgt der Mensch? Anthropologische Untiefen und Horizonte der protestantischen Predigtkultur“ – knüpfe an ein zentrales Thema aus Engemanns Forschungen an, nämlich „den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen“, unterstrich die Dekanin der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Uta Heil, in ihren Eingangsworten.
Dekanin Heil: Wesentliche Impulse, die Traditionen setzten
Heil würdigte auch Engemanns Impulse, die immer wieder „neue Tradition“ gesetzt hätten. Insbesondere 2021 beim 200-Jahr-Jubiläum der Fakultät habe Engemann „wesentliche Impulse“ zur Gestaltung beigetragen, sagte die Dekanin.
In der evangelischen Dogmatik gelte die Rechtfertigungslehre als das Herzstück der protestantischen Theologie, erklärte Engemann in seiner Abschiedsvorlesung. Phrasen wie „dass wir uns die Gnade Gottes nicht verdienen müssen“, „dass wir von ihm angenommen werden, so wie wir sind“ klängen vertraut. „Wer sie benutzt, tut es vielleicht in dem redlichen Bemühen um eine unmissverständlich protestantische Standortbestimmung“, konstatierte der Universitätsprofessor, der weit über 1.000 Predigten Studierender analysiert hat. Dass allerdings ausgerechnet ein Rechtfertigungsakt zur Schlüsselerfahrung des evangelischen Glaubens erklärt und als Grundidee der protestantischen Theologie propagiert werde, „hat sich als schwierige, die Aufgabe der Predigt oft genug gefährdende, auf jeden Fall leicht misszuverstehende Prämisse erwiesen“.
Predigt als leidenschaftliches Plädoyer für ein Leben aus Glauben in Freiheit und Würde
Als rhetorische Gattung ist für Engemann eine Predigt weder Anklage noch Verteidigung, auch kein rechtfertigungstheologischer Kurzvortrag oder eine biblische Erörterung, sondern vor allem ein „leidenschaftliches Plädoyer für ein Leben aus Glauben in Freiheit und Würde“. „Dogmatische Begriffe und Formeln sind kein Evangelium“, erklärte Engemann. Als öffentliche, situationsgebundene Rede sollte eine Predigt nicht zuletzt „aus dem Dialog mit denjenigen hervorgehen, an die sie sich wendet“. Dabei sei sie auf eine „nachvollziehbare, überzeugende und sachkundige Argumentation angewiesen, wie es sich für ein Plädoyer gehört“. Um so mehr, wenn es um anthropologische Themen gehe, die auch in anderen Wissenschaften Forschungsgegenstand sind, wie etwa um die „Bedeutung unseres Willens für die Erfahrung von Freiheit und Unfreiheit, um das Gewähren und Empfangen von Liebe, um Erfahrungen von Würde und der Würdelosigkeit, um verspieltes und erfülltes Leben und andere mehr“.
Die Analyse der Predigten schüre den Verdacht, dass „diffuse Appelle“ und „die auf eine ganz bestimmte Art routiniert wirkenden Bezugnahmen auf die Rechtfertigungslehre ihren Zweck verfehlen“, weil Bezüge zu Lebenskontexten fehlten. Wilfried Engemann geht es vielmehr um eine Art der Vermittlung und des Studiums der Theologie, „bei der die Erarbeitung theologischer Fragen und Antworten mit Bezug auf die eigene Existenz und unter Inanspruchnahme der eigenen Person erfolgt“.
„Pfarrerinnen und Pfarrer berichten von der Erfahrung, dass es sie durchaus nicht überfordere, bei der Kommunikation des Evangeliums bei sich selbst anknüpfen zu können und nichts weitergeben zu müssen, was sie nicht selbst verstanden und als hilfreich empfunden haben“, betonte Engemann am Schluss seiner Vorlesung. „Ihren Predigten entnehme ich gern, was sie zu meiner Rechtfertigung zu sagen haben.“