Wie misst man "Glück", Prof. Bucher?
Interview mit dem katholischen Religionspädagogen und Glücksforscher Anton A. Bucher
Das Interview ist im Magazin "Evangelisches Wien" in der Ausgabe 2018/2 ("Horch zu") erschienen.
„Tiefsitzendes Bedürfnis nach Zugehörigkeit“
Univ.-Prof. Anton A. Bucher hört genau hin. Der gebürtige Schweizer erforscht durch Interviews seit mehr als 20 Jahren „Glück“. Wie Glück und Glaube zusammenhängen, erklärt der Katholische Religionspädagoge und Erziehungswissenschaftler im Interview.
EVANGELISCHES WIEN: Wann sind Sie glücklich, Herr Prof. Bucher?
ANTON BUCHER: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal während Vorlesungen, manchmal beim Feierabendbier. Bei schönen Wanderungen, beim Schachspiel – wenn ich nicht gerade verliere. Glück kann überall erlebt werden – auch und gerade bei der Arbeit. Glück ist eine positive, intensive, emotionale Erfahrung. Und Glück ist subjektiv. Was mich glücklich macht, muss Sie nicht auch glücklich machen.
EVANGELISCHES WIEN: Wie messen Sie „Glück“?
ANTON BUCHER: Durch subjektive Selbsteinschätzung. Wir fragen nach der Befindlichkeit, zum Beispiel während einer Tätigkeit. Es ist in der Tat so, dass sich Menschen – schon im Kindesalter – glücklich einschätzen können. Diese Einschätzung muss nicht immer logisch nachvollziehbar sein. Meine älteste Tochter wollte im Teenager-Alter unbedingt eine Ratte als Haustier. Ich bin Rattophobe. Es bleibt mir unvergesslich, wie die Ratte auf ihrer Schulter herumkrabbelte und dieses Kind aus unerfindlichen Gründen glücklich war.
Es hat Versuche gegeben, über objektive Indikatoren wie berufliche Situation, Einkommen, familiäres Umfeld und so weiter, Glück zu messen – was nicht funktioniert hat. Neuerdings gibt es Versuche, angenehme Emotionen neurologisch zu messen. Aber auch wenn es stärkere Aktivität im limbischen Gehirn gibt, können wir von außen nicht beurteilen, was der Mensch fühlt. Es führt kein Weg an der subjektiven Selbsteinschätzung vorbei.
EVANGELISCHES WIEN: Was kann Glück bewirken?
ANTON BUCHER: Das ist sehr intensiv untersucht worden – in der Psychologie und Medizin. Glückserfahrungen reduzieren zum Beispiel Stresshormone. Menschen, die häufig in angenehmen Emotionen sind, haben in der Regel auch ein stärkeres Immunsystem. Oder einfach formuliert: Glück ist gesund – im physiologischen Bereich, aber mehr noch im psychischen Bereich.
EVANGELISCHES WIEN: Welche Glücksfaktoren haben sich für Sie herauskristallisiert?
ANTON BUCHER: Es gibt unendlich viele mögliche Glücksfaktoren. Das können Mitmenschen sein, die Natur, ästhetische Eindrücke, Musik. Auch eine süß-traurige Stimmung, die Melancholie an einem herbstlichen Tag zum Beispiel, kann eine enorme emotionale Tiefe bereiten und ist alles andere als seichte Oberflächlichkeit. Aktivität statt Passivität, Tätigkeiten und körperliche Aktivitäten, kooperative Gemeinschaftserlebnisse – diese Dinge haben ein enormes Glückspotenzial.
EVANGELISCHES WIEN: Ist ehrenamtliches Engagement auch ein Glücksfaktor?
ANTON BUCHER: Das ist ein sehr gut gesichertes Ergebnis, auch in der internationalen Glücksforschung, dass ehrenamtlich engagierte Menschen glücklicher sind als jene Personen, die das nicht tun. Das Ehrenamt wird als sinnvoll empfunden – und wir Menschen brauchen Sinn. Vielfach führt es auch zu Anerkennung. Das sind Erfahrungen, die uns aufbauen und auch beglücken können.
EVANGELISCHES WIEN: Sie sagen, dass spirituelle Menschen glücklicher sind. Warum?
ANTON BUCHER: Wir Menschen haben ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Geborgenheit. Sich verbunden zu fühlen, das tut enorm gut. Studien, auch internationale Studien, bestätigen, dass sich Menschen, die regelmäßig in der Gemeinde aktiv sind, als glücklich, bzw. als sehr glücklich einschätzen. Und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Die Erfahrung der Gemeinschaft, des Dazugehörens, verstärkt die angenehmen Emotionen. Wenn im Salzburger Dom alle fünf Orgeln brausen – das ergreift und bewegt uns. Besonders, wenn wir das in Gemeinschaft erleben mit Menschen mit ähnlichen Überzeugungen.
EVANGELISCHES WIEN: Das Verhältnis zwischen Glaube und Glück im Christentum war nicht immer einfach.
ANTON BUCHER: In der Geschichte war das Verhältnis zwiespältig. Jesus von Nazareth verkündigte eine frohe Botschaft. Und wie wir aus den Evangelien schließen können, muss er auf seine Zeitgenossen einen überwältigenden und glücklichen Eindruck gemacht haben. Daraus ist dann aber etwas Gegenteiliges geworden. Oft ist das Leben als Jammertal empfunden worden und die Menschen wurden auf die himmlische Glückseligkeit vertröstet. Glaube wurde mit Angst geschürt, Angst vor der Hölle zum Beispiel. Den Menschen wurden Schuldgefühle eingeredet, was den Selbstwert mindert. Wenn Menschen im normalen katholischen Gottesdienst sagen sollen: „meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“, dann ist das deprimierend. Heute kommen wir zurück zum Ursprung, dass die christliche Botschaft glücklich machen soll. – Aber man darf nicht vergessen: Es gibt auch Glaube außerhalb der Kirchenmauern. Da sind wir dann wieder bei der Verbundenheit, bei Connectedness, mit unserer Mitwelt, mit der umgebenden Natur und auch mit einem höheren, transzendenten Wesen.
EVANGELISCHES WIEN: Als Pädagoge liegt Ihr Fokus auch auf der Schule: wie sieht es dort aus mit dem Glück?
ANTON BUCHER: Vor mehr als zehn Jahren haben wir rund 1.300 Kinder in und um Salzburg befragt. Es hat mich getroffen, dass die Befindlichkeiten in der Schule nur ein bisschen höher waren als beim Zahnarzt. Für mich hat die Schule Glückspotenzial. Ich lasse es mir neben der Tätigkeit an der Universität nicht nehmen, zwei Stunden Religion in der Woche an einem Untergymnasium zu unterrichten. Aber durch Angst, resultierend aus Leistungsdruck und den Bildungserwartungen der Eltern, ist für einige Kinder die Schule kein Glücksort. Außerdem sind Kinder Bewegungswesen – in der Schule müssen sie aber stundenlang am Pult sitzen, was das Glücksgefühl hemmt.
EVANGELISCHES WIEN: Kann der Religionsunterricht eine „Glücksoase“ sein?
ANTON BUCHER: Im Religionsunterricht ist der Leistungsdruck weniger hoch, es kann Zuspruch erlebt werden. Durch didaktische und methodische Innovationen ermöglichen gute Religionslehrer*innen heute auch die Aktivität von Schüler*innen: im Stehkreis spielen, gemeinsam singen und so weiter. Also: Ja, der Religionsunterricht kann eine „Glücksoase“ sein.
EVANGELISCHES WIEN: Vielen Dank für das Gespräch!