Wie antijüdisch ist die Evangelische Kirche?

Interview mit Thomas Hennefeld

 
von Martina Schomaker
Wie antijüdisch sind die Kirchenfenster der Pauluskirche und wo ist der Unterschied zwischen "Auseinandersetzung" und "Cancel-Culture" - das haben wir Thomas Hennefeld gefragt. Fotos: (Portraitfoto) epd/M. Uschmann; (Kirchenfenster) Pauluskirche
Wie antijüdisch sind die Kirchenfenster der Pauluskirche und wo ist der Unterschied zwischen "Auseinandersetzung" und "Cancel-Culture" - das haben wir Thomas Hennefeld gefragt. Fotos: (Portraitfoto) epd/M. Uschmann; (Kirchenfenster) Pauluskirche

Thomas Hennefeld hat viele Rollen: Er ist als Landessuperintendent der „hauptamtliche geistliche Chef“ der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich, gleichzeitig ist er Pfarrer der reformierten Zwinglikirche im 15. Bezirk. Wir, die Redaktion des Magazins "Evangelisches Wien", interviewen ihn zu einem seiner thematischen Schwerpunkte: dem christlich-jüdischen Dialog. Ein wichtiger Dialog der ständig gepflegt wird, nicht nur rund um den 27. Jänner, dem Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

 

Evangelisches Wien: Die Pauluskirche in Wien-Landstraße hat ein Problem mit einigen Buntglasfenstern (siehe Artikel unten). Wie schätzen Sie die Fenster ein?

Thomas Hennefeld: Für mich ist die Faktenlage klar: Die Motive sind eindeutig antisemitisch, sie bedienen alle Klischees, die es gegen Juden gibt und der Künstler war ein Nazi-Künstler.

Evangelisches Wien: Die Fenster sind Ende der 60er Jahre entstanden. Hat die Evangelische Kirche ihre antisemitische Geschichte aufgearbeitet?

Thomas Hennefeld: 1965 hat es ein Bekenntnis gegen Antisemitismus auf der Generalsynode (der Reformierten und Lutherischen Kirche) gegeben, aber erst 1988 ein offizielles Bekenntnis der eigenen Schuld. Wegweisend war 1998 die Erklärung „Zeit zur Umkehr“, in der sich die Evangelischen Kirchen selbstverpflichtet haben, Lehre, Predigt, Liturgie, Unterricht und so weiter – darunter auch Architektur - auf Antisemitismus zu prüfen und zu korrigieren. Denn Antijudaismus war über Jahrhunderte Teil der christlichen Tradition.

Evangelisches Wien: Wie antijüdisch ist der christliche Glaube?

Thomas Hennefeld: Das ist ein weites Feld und wir sind da sensibel geworden. Auch beim Lesen der Bibel. Ein Standardwörterbuch für das Neue Testament wurde zum Beispiel in den 30er und 40er Jahren von einem bekennenden Nationalsozialisten verfasst, wodurch die Übersetzung ins Deutsche eine bestimmte Schlagseite gewinnen, nämlich eine durchaus antijüdische. Wichtig ist: Nicht der Glaube ist antijüdisch, sondern Traditionen, Rezeptionen und Ausprägungen.

Evangelisches Wien: Mit Blick auf das Fenster-Projekt der Pauluskirche (siehe Artikel unten). Worin liegt der Unterschied zwischen solch einer „Auseinandersetzung“ und „Cancel-Culture“

Thomas Hennefeld: Das ist oft eine Gratwanderung. Für jede Geschichte braucht es eine eigene kreative Lösung. Das lässt sich nicht verallgemeinern. Zur Orientierung: Schandflecke sollten nicht einfach ausgelöscht werden. Sie sollen aber auch nicht instrumentalisiert werden können. Also in Erinnerung bleiben heißt auch etwas kreativ zu gestalten, wie in der Pauluskirche.

 

Jugendliche verhüllen die tendenziösen Fenster. Welches Wort vor welches Fenster gehängt wurde, das entschieden die Jugendlichen der Gemeinde.

Verhüllung von Nazi-Fenstern in der Pauluskirche sorgt für Gesprächsstoff

„Unsere Kirchenfenster stellen Juden verletzend dar“, sagt Elke Petri, Pfarrerin der Pauluskirche im 3. Bezirk. „Außerdem wird Jesus als arischer, blonder Jüngling gezeigt und die Mädchen sehen aus, als seien sie der Hitlerjugend entsprungen.“ Ende der 60er Jahre wurden die Buntglasfenster von Rudolf Böttger gestaltet, ein damals bekannter NS-Künstler, der eigentlich einem Berufsverbot unterlag.

„Es ist ein belastetes Erbe und ein belastendes Erbe“, sagt Petri. Die Pfarrgemeinde hat vor 20 Jahren eine Gedenk- und Erklär-Tafel angebracht, doch die reicht den Evangelischen im 3. Bezirk nicht mehr aus. „Wir wollen nicht nur erinnern, nicht nur unserer Schuld gedenken – wir wollen darüber auch ins Gespräch kommen und unsere heutigen Werte kommunizieren.“

Kunstprojekt als Anstoß

Das gelingt durch ein Kunstprojekt. Seit Oktober führt kein Weg mehr daran vorbei: Wer die Pauluskirche betritt, wird sich mit der antijüdischen Geschichte der Evangelischen Kirche auseinandersetzen. Denn alle 14 Fenster sind mit durchscheinenden, farbigen Stoffbahnen „verhüllt“. Je nach Sonnenstand, sind die Stoffbahnen kaum oder stark zu sehen. Eine Irritation beim Blick zu den Fenstern, die jeder und jedem Betrachtenden nicht entgehen kann – und unwillkürlich zum Gespräch und Austausch anregt.

Auf jeder Stoffbahn ist in großen Lettern entweder das Wort „Glaube“, „Liebe“ oder „Hoffnung“ zu lesen. Es sind die drei Schlüsselworte aus dem Paulusbrief an die Korinther, den viele Ehepaare als Trauspruch wählen und den die Pauluskirchen-Gemeinde als Leitspruch auserkoren hat: „Was bleibt sind Glaube, Hoffnung, Liebe - diese drei. Doch am größten von ihnen ist die Liebe.“ (1.Kor. 13,13)

Die Jugend entscheidet

Welches Wort mit welcher Farbe verbunden ist und vor welchem Fenster hängt, das haben die Jugendlichen der Pauluskirche entschieden. „Für uns ist es ist eine Ehre, dass wir so etwas Wichtiges gestalten durften“, sagt Felix Werb von der Pauli-Jugend.

Ein Jahr lang haben die Teenager sich informiert, Menschen befragt, diskutiert und letztlich die Stoffbahnen gefärbt sowie entschieden, wo welche hängen soll. Zur Seite stand ihnen dabei nicht nur Pfarrerin Petri, sondern auch Lisa Pacchiani als pädagogische, Gabriele Petri als künstlerische und Barbara Waltritsch als „handwerkliche“ Begleitung.

In Zukunft

Beendet ist die Auseinandersetzung mit den antijüdischen Fenstern der Pauluskirche aber noch nicht: In den kommenden Jahren sollen die Fenster im Zuge einer thermischen Sanierung ausgetauscht werden. Aus den Scherben der Böttger-Fenster soll dann eine Gedenkstelle errichtet werden. 

 

Weitere Informationen

www.pauluskirche.at/kirchenfenster

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