Was wird aus Kirche?

Religionssoziologe Detlef Pollack bezieht im „Deutschen Pfarrerblatt“ Position

 
von Martina Schomaker
Einen kritischen Blick auf die Kirche wirft Religionssoziologie Pollack -  er analysiert und macht Vorschläge
Einen kritischen Blick auf die Kirche wirft Religionssoziologie Pollack - er analysiert und macht Vorschläge

„Dass die Verbundenheit mit der Kirche (…) stetig zurückgeht, wird von Statistiken seit Jahren klar belegt. Doch was sind die Gründe für diesen Prozess – und wie ist er zu deuten?“, so beginnt der Artikel „Was wird aus Kirche“ des Religionssoziologen Detlef Pollack im „Deutschen Pfarrerblatt“ (Ausgabe 7/2016, siehe Link unten).

Der Universitätsprofessor hat sich auf Spurensuche begeben, und auch wenn er evangelische wie katholische Statistiken und Umfrageergebnisse aus Deutschland zurate gezogen hat, ähnelt sich die in Deutschland dargestellte Situation mit der Situation der Kirchen in Österreich stark. Pollacks Analyse, Interpretation und Schlussfolgerung sind auch für die Evangelische Kirche A.B. in Wien interessant und wichtig.

Hier gelangen Sie direkt zum Deutschen Pfarrerblatt und zu den drei Teilen des Artikels:

Pollack: Was wird aus Kirche (1) – in: Deutsches Pfarrerblatt, 7/2016

Pollack: Was wird aus Kirche (2) – in: Deutsches Pfarrerblatt, 8/2016

Pollack: Was wird aus Kirche (3) – in: Deutsches Pfarrerblatt, 9/2016

Kirche muss professionell arbeiten um zukunftsfähig zu bleiben

Spannend sind Pollacks konkrete Orientierungsvorschläge für das kirchliche Handeln im dritten Teil, die sich für ihn aus den Analysen in Teil 1 und Teil 2 ergeben.

So schlussfolgert er, dass „der negative Zusammenhang zwischen Wohlstandsanhebung und kirchlich-religiöser Bindung dafür spricht, dass die Kirche alles tun muss, um ihr Handeln zu professionalisieren und attraktiv zu gestalten. In der Ausrichtung von Feiern und Riten, in der seelsorgerlichen Begleitung von Menschen in Not, in der diakonischen Hilfe, in der Ausdeutung der Sinnbezüge des Lebens, im Angebot von Gemeinschaft und Geselligkeit muss sie konkurrenzfähig sein und den säkularen Alternativen Gleichwertiges an die Seite stellen können.“

Nicht-religiöse Funktionen sind wichtig für den gesellschaftlichen Stellenwert

Weiter rät Pollack dazu, nicht nur auf die spirituell-religiöse Kernaufgabe zu setzen: „Angesichts der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Gesellschafts- und Wertsphären und der negativen Effekte, die die Ausdifferenzierung auf die Integrationskraft der Kirche hat, muss die Kirche darauf achten, gesellschaftlich nicht isoliert zu werden. Sie müsste also auf die Verbreiterung ihrer Kontaktflächen zur Gesellschaft Wert legen und trotz aller Ausrichtung auf die religiöse Kernfunktion eine Vermischung mit anderen, nicht-religiösen Funktionen anstreben.

So würde es sich für das kirchliche Handeln anbieten, die Flüchtlingsarbeit, die Armenfürsorge, die Bildungsarbeit (Schulen, Kindertagesstätten), die Alltagshilfe, auch Besuchsdienste und Fahrdienste sowie die Alleinerziehendenarbeit zu stärken und Kunst-, Literatur- und Musikangebote, Lesungen, Filmprojekte, Klinikseelsorge (Grüne Damen und Herren) oder auch die Bahnhofsmission auszubauen. Kontaktverbreiterung lässt sich natürlich auch erzielen, indem säkulare Kommunikationsformen im Raum der Kirche angesiedelt werden, wenn also etwa Popmusik im Gottesdienst erklingt, wenn vor dem Gottesdienstraum ein Kaffeeshop eingerichtet wird und während des Gottesdienstes Kinderbetreuung angeboten wird, wenn das Gemeindehaus für soziale Anliegen und öffentliche Angelegenheiten geöffnet (Gemeindebibliothek, Verein, Heimatstube), also multifunktional genutzt wird oder Konfessionslose in die Arbeit von Kirchbauvereinen einbezogen werden.“

Individuelle Ansprüche und Gemeinschaft miteinander verknüpfen

Außerdem schreibt Pollack, dass die Einbindung und Aufmerksamkeit Einzelner in Glaubensfragen wichtig ist: „Religiöse Vorstellungen gewinnen (…) an Überzeugungskraft, wenn der Einzelne sie mit anderen teilt, wenn er am Gottesdienst teilnimmt und rituelle, institutionelle, gemeinschaftliche und personelle Stützung erfährt. Wenn es richtig sein sollte, dass kirchliche Bindungen und Individualisierung in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, dann wird Kirche nicht gut beraten sein, Individualisierungsprozesse voranzutreiben. Verweigern kann sie sich ihnen allerdings auch nicht. Für kirchliches Handeln käme es daher darauf an, individuelle Ansprüche und gemeinschaftliche Einbindung miteinander zu verknüpfen.

Durch die Stärkung folgender Formen des kirchlichen Handelns ließe sich eine solche Verknüpfung herstellen: durch die Erhöhung von Gelegenheiten zur Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, durch die aktive Einbeziehung von Laien in die Gestaltung des Gottesdienstes, z.B. als Lektor, bei der Ankündigung von Veranstaltungen oder auch beim Sprechen von Gebeten, durch die Organisation von Hauskreisen, die Gelegenheit zum Dialog und zur individuellen Entfaltung bieten, durch die Förderung von Teamarbeit sowie durch die Schaffung von Knotenpunkten, die als Treffpunkte von Professionellen und ehrenamtlichen Laien dienen.“

Glaube ohne Kirche? – Schwierig!

„Die Meinung, man könne auch ohne Kirche gläubig sein, ist zwar weit verbreitet. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich zum Glauben an Gott bekennt, in der Kirche jedoch weitaus höher als außerhalb von ihr“, analysiert der Religionssoziologe. „Die oft in Anspruch genommene Semantik der religiösen Individualisierung ist ein gesellschaftliches Zurechnungsschema, dem der Einzelne nicht entkommen kann. Die kirchlich Handelnden werden es diskursiv bedienen müssen, sich aber zugleich dessen bewusst sein müssen, dass die Menschen der Kirche bedürfen, auch wenn sie sie zu ihr auf Distanz gehen und meinen, sie für ihren Glauben nicht zu benötigen. Kaum jemand ist religiös auf der Suche (14% der Evangelischen, 3% der Konfessionslosen) (aus: Pollack/Rosta 2015, „Religion in der Moderne“, Seite 146). 8% der Deutschen denken über den Sinn des Lebens sehr oft nach, 27% oft (ebd.: S. 225). Die Mehrheit tut das nicht. Der Anspruch auf religiöse Selbstbestimmung ist zwar ubiquitär. Viele Indikatoren deuten aber eher auf so etwas wie eine weit verbreitete religiöse Unterindividualisierung.

So wird die Kirche die individuellen Ansprüche auf religiöse Selbstbestimmung zwar einerseits ernstnehmen müssen, andererseits sollte sie sich von ihnen aber auch nicht abhängig machen.

Wenn sie Raum für Individualisierung gewährt und zugleich Gemeinschaftlichkeit pflegt, z.B. durch eine besondere Familienfreundlichkeit oder durch die Organisation von Hilfsaktionen und die Pflege zwischenmenschlicher Solidarität, kann sie ein Resonanzraum für individuelle Selbstbestimmungsansprüche und Gemeinschaftsbedürfnisse sein und als solcher in die Gesellschaft ausstrahlen.“

Nur am Puls der Zeit kann Kirche ihre Botschaft transportieren

Fakt ist laut Pollack, dass die Kirche, wie jede Institution, für ihr Agieren die Unterstützung durch das kulturelle Umfeld bedarf. „Offenbar erfahren religiöse Überzeugungen und Praktiken in konfessionell homogenen Kontexten Unterstützung, während konfessionelle Heterogenität den Gläubigen diese Unterstützung entzieht. An die Mehrheitsmeinung muss Kirche daher bei allem Bestehen auf Entweltlichung und Außeralltäglichkeit auch immer anknüpfen. Den common sense muss sie genau wahrnehmen und in ihrem Handeln berücksichtigen, selbst wenn sie ihm nicht folgt. Indem die Kirche Mehrheitsstimmungen und verbreitete Meinungen aufgreift, kann sie sich aber auch zum Sprecher dieser Stimmungen machen. Die Kirche wird gut beraten sein, genau danach zu fragen, welches die die Menschen berührenden Fragen, welches ihre Nöte und Probleme sind. Nur wenn sie an den Denkhorizont der Menschen anknüpft, kann sie ihre Botschaft so transportieren, dass sie bei ihnen ankommt.“

Informationen zum Autoren: Univ.-Prof. Dr. Detlef Pollack ist Religionssoziologe am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) in Deutschland. Er ist Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ sowie Vorstandsmitglied des „Centrums für Religion und Moderne“ an der WWU Münster.

Weitere Publikation: Das Thema wird vertieft im Buch „Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich“ von Detlef Pollack und Gergely Rosta, das 2015 im Verlag „Campus“ erschienen ist.

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Text: Vielen Dank an  Prof. Dr. Detlef Pollack und an Pfarrer PD Dr. Peter Haigis, Schriftleiter des Deutschen Pfarrerblatt, für die genehmigte Weiterverwendung
Foto: Evangelische Diözese A.B. Wien/ Martina Schomaker

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